Heute ist der Tag: Abflug nach Neuseeland. Eigentlich. Wie so oft kam alles anders als geplant und statt auf dem Weg zum Flughafen sind wir wieder in Wartestellung. Doch der Reihe nach. Der Plan war heute lange zu schlafen um die innere Uhr langsam an die Zeit in Neuseeland zu gewöhnen. Da sich die Südpolstation eben genau am Südpol befindet, gibt es keine natürliche Zeitzone dort. Weil aber nahezu alle Reisen dorthin über Christchurch (Neuseeland) und die Station McMurdo führen, wurde irgendwann einmal entschieden, die Uhren in der Südpolstation nach der Zeit in Neuseeland zu stellen. Das soll die Anreise und Kommunikation mit der Station erleichtern. Theoretisch, denn unsere Zeit in Deutschland ist um genau 12 Stunden verschoben. Aus dem lange Schlafen wird nichts, denn um halb acht weckt mich Natalie: Christopher ist am Telefon. Er hat eine SMS mit der Aufforderung in die Emails zu schauen bekommen. Wir sollen keinesfalls nach Neuseeland aufbrechen. Noch etwas verschlafen setze ich mich an den Rechner, rund ein Duzend Emails kamen über Nacht rein. Tatsächlich, die National Science Foundation (NSF), die Organisation welche die Station betreibt, hat nach einem großen COVID-Ausbruch in McMurdo alle Flüge dorthin für zwei Wochen ausgesetzt. Aufgrund der hohen Ansteckungszahlen stehen nicht mehr genügend Räumlichkeiten zur Verfügung um Infizierte in McMurdo zu isolieren. Das bringt natürlich nun alle Pläne der Sommerkampagnen in McMurdo und am Südpol durcheinander, nicht nur unsere. Sheryl, unsere Projektkoordinatorin in McMurdo, wurde genauso überrascht und ist ebenso ratlos wie wir. Die Situation ist stellenweise chaotisch und keiner weiß wann oder ob es diesen Sommer noch weiter geht. Nur dass wir heute nicht nach Neuseeland fliegen, ist kristallklar. Da unser Flug in wenigen Stunden starten sollte, rufe ich unverzüglich das Reisebüro an um die Tickets umzubuchen. „Wann wollen Sie denn fliegen“, fragt mich eine ebenso verschlafene Frauenstimme am Telefon. Ich war für einen Moment versucht zu antworten „ich weiß nicht“, aber mir ist dann doch klar, dass sie damit nichts anfangen kann. „In zwei Wochen“ sage ich stattdessen obwohl ich nicht wirklich überzeugt bin, aber das ist die einzige Information, die ich habe. „Ihr Hinflug klappt, aber das mit dem Rückflug im Dezember können Sie vergessen – Weihnachten, wissen Sie, alle Leute wollen nach Australien und Neuseeland“. Ja, Weihnachten, Neuseeland, aber da will ich ja gar nicht hin. Ich will zum Südpol. „Das bekommen Sie aber nicht bei mir“, schallt es mit einem Lachen zurück. „11. Januar kann ich Ihnen anbieten, das ist der erste freie Flug zurück.“ Also 11. Januar. Ist ja ohnehin unwahrscheinlich, dass ich dieses Jahr noch zum Südpol komme. Dann kann ich auch – wie offensichtlich alle anderen Leute – Weihnachten in Neuseeland verbringen.