Als der Wecker um vier Uhr morgens klingelt, bin ich sofort hellwach. Als erste Aktion des Tages rufe ich Emails ab. Keine neuen Nachrichten, das bedeutet, wir werden wie geplant abgeholt. Ich packe meine Sachen zusammen und gehe nochmals in Gedanken durch, in welcher Tasche welche Gegenstände verstaut sind. Ein Satz Wechselkleidung ist im Handgepäck, falls wir in McMurdo längere Zeit festsitzen; dazu kommen die beiden Laptops, Festplatten und Kameras und der Rest der Extremwetterkleidung. Und meine Wanderschuhe. Die weißen Bunny Boots sind viel klobig um damit den ganzen Tag rumzulaufen. Alles andere bleibt im Koffer, den ich vielleicht erst in ein paar Tagen wiedersehen werde.

Als das Shuttle kommt, ist es noch dunkel. Mit mir steigen noch zwei weitere Personen ein. Da ist John aus Nebraska, vielleicht halb so alt wie ich, der seit Monaten von seiner Ankunft in der Antarktis träumt und es kaum erwarten kann. Und Mitchell, ein Elektriker mittleren Alters, der einfach mal etwas anderes erleben möchte. Am nächsten Hotel steigen eine junge Frau, die einen Job in der Küche in McMurdo angenommen hat, und eine ältere Frau, die seit über 10 Jahren jeden Sommer Pinguine in einer Kolonie nicht weit von McMurdo entfernt zählt, ein. Schließlich kommt ein Techniker, der sich um die Treibstoffversorgung der Station kümmern wird. Es ist seine zweite Reise in die Antarktis. Wir unterhalten uns und tauschen uns aus, aber bald verstummen die Gespräche wieder und jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Werden wir heute wirklich starten? Klappt es diesmal schon beim ersten Versuch? Und wie wird wohl das Wetter in McMurdo sein und werden wir dort heute auch landen können? Als wir auf die Straße zum Flughafen einbiegen, ist es bereits hell. Ich habe gar nicht bemerkt, wann die Dämmerung einsetzte.

Vor dem Clothing Distribution Center, welches auch als Antarktis-Terminal fungiert, stehen bereits mehrere Shuttles. Ein Mitarbeiter am Eingang begrüßt jeden einzelnen von uns. Insgesamt sind wir eine Gruppe von etwa 35 Personen. Am Schalter nehmen zwei Militärangehörige mein aufzugebendes Gepäck entgegen und wiegen es. Als nächstes muss ich mich mit meinem Handgepäck auf die Waage stellen. Als auch dieser Wert notiert ist, bekomme ich eine Bordingkarte umgehängt. Dann heißt es warten, denn das Sicherheits-Briefing ist erst auf 7:45 Uhr angesetzt. Dominique, Yucheng und ich nutzen die Zeit, um im nahegelegenen Supermarkt Frühstück zu besorgen.

Als das Briefing vorbei ist, geht alles sehr schnell. Wir gehen durch eine Sicherheitsschleuse ähnlich wie bei einem normalen Flughafen und steigen in einen Bus, der uns auf die andere Seite der Strauße zum Flughafen und hinaus auf das Rollfeld zu unserem wartenden Flugzeug bringt. Es ist ein C17 Transportflugzeug der amerikanischen Luftwaffe. Die Crew geleitet uns an Bord und bringt uns zu den Sitzplätzen, welche in zwei langen Reihen entlang den beiden Seiten des Flugzeugs angebracht sind. Wir sitzen also nicht in Flugrichtung wie bei normalen Passagierflugzeugen, sondern quer dazu. Und es sind auch keine richtigen Sitze, sondern nur eine Art Platte, unter die wir unser Handgepäck schieben. Die Rückenlehne ist die Bordwand. Für etwas mehr Komfort breite ich meinen Parka als Rückenpolster aus bevor ich mich hinsetze. Zwischen den beiden Sitzreihen, in der Mitte des Flugzeugs, befinden sich in Schienen auf dem Boden eingeklinkte Frachtpaletten. An der Decke gibt es keinerlei Verkleidungen. Man sieht Hydraulikleitungen, jede Menge Kabel und Lüftungsrohre. Als ich nach rechts blicke, erkenne ich wie am Ende der Sitzreihe kurz vor der Rampe der Loadmaster meine Kiste mit den Lidar-Teilen mit einem Spanngurt auf dem Boden sichert. Ich bin erleichtert, dass es die Kiste ins Flugzeug geschafft hat.

Die Sitze für die Passagiere befinden sich an den Flugzeugwänden

Nach einer kurzen Sicherheitsunterweisung rollen wir auch schon los. Es gibt nur zwei winzige runde Fenster auf jeder Seite des Flugzeugs, durch die wir von unserer Position heraus jedoch nicht nach draußen blicken können. So fühlen wir denn auch mehr die Bewegungen des Flugzeugs als wir sehen können. Als schließlich der Pilot die Nase des Flugzeugs hochzieht, kippe ich zur Seite und muss mich festhalten. Der Gurt verhindert, dass ich wegrutsche. Unbequem ist diese Haltung trotzdem. Und es ist laut. So laut, dass ich mir Ohrstöpsel in die Ohren schiebe sobald das Flugzeug eine mehr waagrechte Haltung einnimmt und ich meine Hände wieder frei habe. Die nächsten fünf Stunden passiert nicht viel. Der Flug verläuft ruhig und wer kann versucht Schlaf nachzuholen. Später erlaubt uns die Crew einen kurzen Ausflug nach oben auf das Flugdeck. Ich schnappe mir meine Kamera und stelle mich in die Schlange. Oben angekommen werde ich erst einmal von gleisendem Sonnenlicht, welches durch die Frontscheiben hereindringt, geblendet. Mir war gar nicht bewusst, wie Dunkel es unten im Bauch des Flugzeugs ist. Ich mache schnell zwei Bilder und wechsle ein paar Worte mit dem Navigator bevor es auch schon wieder nach unten geht. Wenig später beginnt auch schon der Landeanflug auf ein Stück planiertes Meereis wenige Kilometer von McMurdo entfernt. Mit einem kleinen Ruck setzt das Flugzeug auf dem Meer auf und rollt schließlich zur Parkposition mit den auf uns bereits wartenden Fahrzeugen. Als die Crew die riesige Ladeluke am Heck öffnet, fühle ich wie ein eisiger Luftstrom blitzartig die warme Luft im Flugzeug verdrängt. Schnell schlüpfe ich in meinen Parka und meine Handschuhe, setzte die Mütze auf, schnappe mir mein Gepäck und laufe nach draußen auf die wartenden Fahrzeuge zu. Ein paar Leute vor mir, vermutlich Erstankömmlinge, bleiben stehen um Fotos von sich und dem Eis zu machen. Doch wir werden angetrieben weiterzugehen. Es windet und die Crew will schnellstmöglich die Fracht ausladen und das Flugzeug für den Rückflug vorbereiten.

Das Flugdeck Das Cockpit der C17

Das Flugdeck Unser C17 Transportflugzeug und rechts daneben eine LC-130 Hercules

Drei ebenso abenteuerlich wirkende wie altmodische LKW mit riesigen Reifen und Containern auf der Ladefläche, im weiteren Sinne vielleicht als Busse zu bezeichnen, bringen uns über das Meereis zunächst zur Küste und weiter an der neuseeländischen Station Scott vorbei nach McMudo. Ich mache diese Fahrt nun bereits zum dritten Mal, die Ankunft in McMurdo hat für mich jedoch kein wenig an Schrecken verloren. Die vielen Baustellen, Hunderte von Frachtcontainern und riesige Maschinen erinnern mehr an eine Bergsiedlung als an eine Forschungsstation in der Antarktis. Das ist kein schöner Anblick und ich hoffe instinktiv schnell wieder von hier fortzukommen.

Wir werden zum Crary-Gebäude gebracht, wo die nächste Einweisung auf uns wartet. Der Stationsmanager begrüßt uns sehr knapp und legt in seinen wenigen Worten sehr viel Gewicht darauf, dass er in zweiter Funktion auch ein US Marshall ist. Zwei Polizisten sind derzeit noch am Südpol. Offensichtlich waren die Probleme mit dem dortigen und nun entfernen Stationsmanager letzten Winter größer als ich es aus Benis Erzählungen für möglich gehalten hatte.

Wir bekommen unsere Schlüssel ausgehändigt und machen uns auf den Weg zum blauen Gebäude, welches im Zentrum der Station liegt und neben Schlafräumen auch die Kantine und viele Büros beherbergt. Es liegt wenig Schnee hier und die staubigen Schotterstraßen und die aufgerissene Erde unterstreichen auf geradezu groteske Weise die Assoziation McMurdos mit einer Bergbausiedlung. So kurz nach dem Winter hätte ich deutlich mehr Schnee erwartet. Das Weiß hätte McMurdo sicherlich ein versöhnlicheren Anblick verliehen.

Ich teile mir ein Zimmer mit Dominique und zwei anderen Technikern. Ein fünftes Bett bleibt leer. Offensichtlich ist die Station doch nicht vollbelegt. Als ich mein Fleece ausziehe und den Metallrahmen des Betts berühre, bekomme ich einen heftigen schmerzvollen Stromschlag. Die Luftfeuchtigkeit ist so niedrig, dass sich überall statische Elektrizität ansammelt. Sämtliche isolierende Gegenstände inklusive der Kleidung, welche ich auf dem Körper trage, laden sich auf. Berührt man Metallteile wie Bett, Tür, Spind oder Wasserhähne, fließt die Ladung in Form eines erschreckend langen Blitzes ab. Willkommen in der Antarktis! Ich muss mir wieder angewöhnen, Metallteile zuerst mit weniger empfindlicheren Körperteilen als den Fingerspitzen zu berühren.

Nachdem wir unsere Betten bezogen haben gibt es Abendessen in der Kantine. Die Essensauswahl ist reichlich und jeder kann sich so viel nehmen, wie er möchte. Es gibt auch einigermaßen frischen Salat, den ich mir großzügig auf meinen Teller lade in der Voraussicht, dass das vermutlich mein letzter Salat für die nächsten Wochen sein wird. Etwas weiter gibt es Kuchen und andere Süßwaren zum Nachtisch. Dann folgen ein Stand mit Wasser und Softdrinks und eine Popkornmaschine. Die Kantine ist großzügig angelegt mit Tischen für 4-8 Personen und viel Platz zwischen und macht mit ihren warmen Farben und den mit Kunstwerken und Bildern dekorierten Wänden einen einladenden Eindruck. Wenn man die beengten Verhältnisse und die Sterilität der Kantine am DLR gewohnt ist, erscheint einem das hier schon beinahe als verschwenderischer Luxus.

Nach dem Essen gibt es für uns nichts mehr zu tun. Ich gehe auf mein Zimmer und setze ich auf mein Bett um diesen Bericht zu schreiben. Stühle oder gar Tische gibt es in den Zimmern keine. Schließlich stelle ich den Wecker auf 06:30 Uhr für den unwahrscheinlichen Fall, dass unser Flug morgen tatsächlich wie geplant um 9 Uhr startet. Reisen auf dem Kontinent bestehen zum Großteil aus Verschiebungen und Warten.