Es gibt technische Probleme mit den Flugzeugen. Unser Flug ZSP-007 zum Pol, zunächst geplant für 9 Uhr, wird auf 12 Uhr verschoben, dann auf 19 Uhr und schließlich ganz abgesagt. Nach der Warterei am Morgen beschließen Dominique und Yucheng die Zeit zu nutzen und nach Arrival Heights zu fahren. Sie haben dort Airglow-Instrumente und wollen eine Kamera neu aufbauen. Letztes Jahr hatten sie dort eine Kamera abgebaut und zum Pol geschickt um die dortige Kamera, welche bei einem Feuer auf der Südpolstation vor zwei Jahren zerstört wurde, zu ersetzen. Nun wollen sie eine neue Kamera installieren.

Die Laborgebäude von Arrival Heights liegen auf einem Berg knapp außerhalb des Stationsgebietes von McMurdo und gehörten zur nahegelegenen Scott Base, der neuseeländischen Station. In McMurdo ist es im Winter zu hell für den Betrieb von optischen Instrumenten. Ja, die Lichtverschmutzung schlägt selbst hier in der Antarktis zu. Arrival Heights liegt in einer sogenannten ASPA – einer Antartic Special Protected Area, also einem Gebiet, welches unter besonderem Schutz steht. Um dieses Gebiet betreten zu dürfen, benötigen wir eine Berechtigung. Dominique und Yucheng sind im Besitz einer solchen Berechtigung – sie haben ja Instrumente dort und müssen diese warten – und da unser Lidar am Südpol zum selben Projekt gehört, kann ich mitkommen. Ein Shuttle, eine Art Taxi-Service für die Station, holt uns ab fährt uns den Berg hoch. Oben angekommen hat man eine gute Aussicht auf das Meereis und die Eislandebahn in der Ferne: Phoenix Field. Der Wind hat nachgelassen und in der Sonne fühlt es sich schon fast warm an.

Das Gebäude mit den Lidar-Instrumenten Arrival Heights: das Gebäude, in dem die Lidar-Instrumente untergebracht sind, gehört zur neuseeländischen Station

Während Dominique und Yucheng sich um ihre Kamera kümmern, besuche ich meine amerikanischen Lidar-Kollegen im Nachbargebäude. Sie betreiben dort seit einigen Jahren ein Boltzmann Eisen-Lidar und ein Natrium Doppler-Lidar zur Messung von Temperaturprofilen in der oberen Mesosphäre, im Bereich von etwa 85 bis 100 km Höhe. Zwei Techniker warten bereits auf mich und zeigen mir die Instrumente. Für mich ist das eine Reise in die Vergangenheit. In 2008 und 2009 hatte ich mit einem ganz ähnlichen Natrium-Lidar auf ALOMAR in Nordnorwegen gearbeitet, und die Laser des Boltzmann-Lidars sind vom selben Typ wie der Laser des Eisen-Lidars, mit dem ich in 2011 Messungen auf der australischen Antarktisstation Davis durchführte. Ohne das Labor vorher jemals betreten zu haben, kommt mir vieles gleich bekannt vor, und ich erinnere mich an die unzähligen Stunden, die ich mit den ganz ähnlichen Instrumenten verbracht habe. Wir unterhalten uns über technische Eigenheiten und Probleme: alternde Schnellkupplungen an den Laserpumpkammern, die den Temperaturen des Kühlkreislaufs nicht lange standhalten, überhitzende Netzteile, immer wieder auftretende Defekte an den Laseroptiken und über elektromagnetische Störungen in den Schaltungen. Exakt die gleichen Probleme, mit denen ich vor 15 Jahren auch zu kämpfen hatte. Das Natrium-Lidar von ALOMAR wurde in der Zwischenzeit jedoch modernisiert und befindet sich mittlerweile in Alaska. Das Eisen-Lidar mit dem ich gearbeitet hatte, ist schon seit vielen Jahren nicht mehr in Betrieb. Nur hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Ich fühle mich fast wie in einem Museum.

Das Natrium-Lidar der amerikanischen Kollegen Das Natrium-Lidar der amerikanischen Kollegen. Das gelbe Licht ist Laserlicht mit 589 nm Wellenlänge.

Später klart es auf und die Kollegen starten die Lidarsysteme. Alles ist Handarbeit und es dauert fast eine Stunde, bis sie die Messung starten können. Kein Vergleich zu den hochautomatisierten Systemen, die wir am DLR entwickeln und mit einem einzigen Knopfdruck am Computer gestartet werden oder gar komplett vollautomatisch laufen. Einerseits spart die Automatisierung viel Zeit – wir hätten gar nicht das Personal um unsere Lidarsysteme händisch zu betreiben – andererseits sind diese Instrumente nun für unsere Studenten eine Art Black Box. Wenn es nichts mehr von Hand zu tun gibt, lernt man wenig über die Funktionen der einzelnen Komponenten.

Rechtzeitig zum Abendessen holt uns das Shuttle wieder ab. Später laufen wir am Hafen vorbei zu Hut Point, dem Standort der Discovery Hütte aus der Zeit von Scotts Expedition zum Südpol. Auf dem Meereis unweit der Küste liegen eine Handvoll Robben mit ihren Jungen. Sie scheinen die Wärme der Sonne zu genießen. Nur ab und zu heben sie den Kopf um zu gähnen.

Jetzt am Abend steht die Sonne tief über dem Eis, geht aber schon seit ein paar Wochen nicht mehr unter. Es herrscht Polartag. Der fehlende Wechsel von Tag zu Nacht und von Nacht zu Tag wirkt zuerst befremdlich, und instinktiv merkt man, dass etwas nicht stimmt. Aus Erfahrung weiß ich, dass es ein paar Tage dauern wird, bis das Unterbewusstsein das Fehlen eines Tag-Nacht-Rhythmus akzeptiert.

McMurdo McMurdo von Hut Point aus gesehen. Die Holzhütte im Vordergrund ist die Discovery-Hütte