Wir haben es zum Südpol geschafft
Der Wecker klingelt wieder um 06:30 Uhr. Als erste Aktion des Tages werfe ich einen Blick auf die Intranetseite mit den Flügen: ZSP 007 – das ist unser Flug – geplant für 0900, Abfahrt zum Williams Field um 0730. Der Flug ist nicht abgesagt, ja nicht einmal verschoben. Vielleicht ist das unser Tag. Ich habe ein gutes Gefühl und so entscheide ich mich statt Frühstück für eine letzte richtige Dusche. Auf der Amundsen-Scott-Südpolstation wird das Wasser wieder auf zweimal die Woche 2 Minuten duschen begrenzt sein. Dann Sachen einpacken, Bett abziehen, Extremwetterkleidung anziehen und zu Fuß den Berg hoch zu Gebäude 140. Vorher gehe ich noch schnell in der Kantine vorbei und hole mir zwei Zuckerkekse als Frühstückersatz, dann eine Signal-Nachricht an Natalie: Sie bringen uns raus zum Flugfeld.
Mit einem DELTA Truck aus den 70ern – es klebt ein Aufkleber von der deutschen GANOVEX-Expedition von 1979 in der Kabine – fahren wir die Straße runter zum Meer. Es ist ein wunderschöner Tag mit blauem wolkenlosem Himmel. Schlechtes Wetter in Williams Field kann zumindest kein Grund für eine Absage des Fluges heute sein. Wie das Wetter am Pol aussieht, habe ich vergessen zu schauen. Kurz bevor wir das Meereis erreichen, überholen wir den riesigen KRESS Truck mit den Politikern. Es ist das neueste Fahrzeug in der Flotte und es scheint heute besonders langsam unterwegs zu sein.
Auf dem Meereis beschleunigt unser Fahrer und in unserem Container auf der Ladefläche werden bei jeder kleinen Schwelle ordentlich durchgeschüttelt. An der Türe hängt ein plärrendes Funkgerät. Ich verfolge die Statusmeldungen auf Kanal 6 und warte auf das Wort „canceled“, aber ich höre nichts dergleichen. Stattdessen kommt eine Nachricht, dass die Twin Otter startet. Wenig später können wir auch schon den Lärm der Motoren hören. Dann erreichen wir Williams Field, ein kleines neben dem Flugfeld gelegenes Dorf mit Kraftwerk, Kantine, Sanitärcontainer, Feuerwehr, Flughafentower und noch so einigen anderen Containergebäuden. Die meisten aus unserer Gruppe laufen zielstrebig auf die Kantine zu. Bis unser Flugzeug zum Einsteigen bereit ist, werden sicherlich noch ein paar Stunden vergehen. Ich laufe die Straße entlang und sehe zu, wie unser Flugzeug aufgetankt und beladen wird. Nebendran startet eine andere LC-130 ihre Triebwerke. Vermutlich handelt es sich um einen Test, denn als wir das letzte Mal hier waren, fehlte dem Flugzeug ein Propeller. Etwas weiter hinten kann ich noch eine dritte LC-130 erkennen. Bei drei Flugzeugen wird doch hoffentlich eines heute funktionieren.
Die Hauptstraße von Williams Field, einem der beiden Flugfelder auf dem Eis vor McMurdo.
Mount Erebus ist der einzige aktive Vulkan in der Antarktis. Der Traktor im Vodergrund präpariert die Start- und Landebahn.
Nach einer weiteren Stunde Wartens bringt uns unser Fahrer mit dem DELTA raus zum Flugzeug. Es folgt eine Sicherheitsunterweisung der Crew und dann dürfen wir einsteigen. Die Politier sind bereits an Bord. Wir sind nun eine deutlich größere Gruppe als beim letzten Versuch und so sitzen wir in vier Reihen gegenüber. Ein paar der Frachtpaletten mussten offenbar zurückgelassen werden. Ich hoffe, meine Kiste mit den Teilen für das LIDAR ist an Bord. Den Rucksack auf meinem Schoß mache es mir auf dem Gurtsitz so bequem wie möglich und schnalle mich an. Es ist eng im Flugzeug und unsere Knie berühren sich fast. Dann gibt der Loadmaster, eine Frau ungefähr in meinem Alter, auch schon das Zeichen, dass wir gleich losrollen werden. Tatsächlich gibt es gleich einen Ruck und wir bewegen uns. Einsteigen und los geht es, das gefällt mir. Wir biegen um die Ecke, die Motoren heulen auf und wir beschleunigen. Für mein Gefühl gleiten wir ewig dahin. Es rumpelt und wackelt, alles vibriert und das Flugzeug schüttelt sich. Dann heben wir endlich ab und ich muss mich festhalten, um nicht auf die Seite zu kippen. Wenig später wird der Flug ruhiger. Die Klimaanlage beginnt zu arbeiten und heiße Luft wird auf uns herunter geblasen. Ich muss meinen Parka, Mütze und Handschuhe schnellstmöglich ausziehen, sonst wird mir noch vor Hitze schwindelig. Ich habe einen Platz ganz vorne neben dem Loadmaster bekommen und habe ein kleines rundes Fenster im Rücken. Wenn ich es schaffe, Kopf und Rücken um insgesamt 180 Grad zu drehen, kann ich nach draußen blicken.
Diese LC-130 bringt uns heute hoffentlich zum Südpol
Wir überfliegen das transantarktische Gebirge
Nach etwa einer Stunde überfliegen wir das transantarktische Gebirge. Es sind mächtige Berge, von denen nur die Gipfel aus dem Eis herausschauen, dazwischen unzählige Gletscher, um ein Vielfaches größer als der Aletsch-Gletscher in den Alpen. Und ich erkenne riesige Gletscherspalten. Da hätte wahrscheinlich sogar unser Flugzeug drin Platz, ohne die Flüge. Wir fliegen einen gigantischen Gletscher entlang hinauf auf das antarktische Plateau. Dann wird es flacher. Der Eisschild ist nun bis zu 3 km dick und bedeckt alle Berge. Es sind kaum noch Strukturen zu sehen. Um die Sastrugi – vom Wind im Schnee geformte Strukturen – zu erkennen, fliegen wir zu hoch. Es wird eintönig draußen und ich döse vor mich hin. Das gleichmäßige Vibrieren der Turboprop-Triebwerke ist geradezu einschläfernd. Trotz der Hitze von oben fröstelt es mich an meinem Hintern. Das Flugzeug ist nicht isoliert und nur ein dünnes Aluminiumblech trennt mich von der kalten Außenluft.
Als die Triebwerke für den Landeanflug auf die Amundsen-Scott-Südpolstation in den Leerlauf geschaltet werden, wird es schlagartig ruhiger. Man hört nun die Luft keine 10 cm hinter mir am Flugzeug vorbeirauschen. Nach knapp drei Stunden Flugzeit setzen wir auf. Es folgt eine kurze Taxistrecke zur Parkposition neben den Treibstofftanks und dann können wir auch schon aussteigen. Draußen ist es kalt und windig. Ich bin der erste auf dem Schnee und mache einen großen Bogen, um den laufenden Propellern nicht zu nahe zu kommen. Am Rande des Flugfeldes warten zur Begrüßung eine Reihe vermummter Gestalten. Hinter den Masken ist es unmöglich, Gesichter zu erkennen. Sie bedeuten mir mit Handzeichen, auf die Station zuzulaufen. Ich nicke zur Antwort, ich kenne den Weg. Ich passiere die beiden wartenden Kettenfahrzeuge, welche vermutlich für die Politiker bereitstehen, und laufe die leichte Anhöhe hoch. Jetzt fällt mir wieder ein, wieso mein Puls so rast. Wir sind auf Meereshöhe gestartet und auf fast 3000 Metern Höhe gelandet. Noch ein paar Schritte, dann habe ich die Station erreicht. Schließlich der Härtetest: mit dem Gepäck die Treppe hoch und durch die schwere Türe durch. Drinnen. Mir wird schwindelig und ich muss erst einmal stehen bleiben um Luft zu holen. Willkommen am Südpol. Danke, es ging mir schon besser.
Wir ziehen unsere Extremwetterkleidung aus und treffen uns in der Lounge. Der Stationsmanager – er macht einen deutlich freundlicheren Eindruck als sein Kollege in McMurdo – begrüßt uns. Anschließend folgt ein kurzes Orientierungsvideo und dann das Mittagessen. Bevor der Satellit hinter dem Horizont verschwindet und die Internetverbindung trennt, schreibe ich noch schnell Natalie, dass wir es geschafft haben. Wir sind am Ziel.
Wir haben es geschafft: Ankunft auf der Amundsen-Scott-Südpolstation