Thanksgiving und ein dreckiges Fenster
Heute wird auf der Station Thanksgiving gefeiert. Der Feiertag wurde auf den Samstag verlegt, damit es ein langes Wochenende wird. Der Samstag ist hier nämlich normalerweise ein regulärer Arbeitstag; nur der Sonntag ist für die meisten frei. Heute ist aber schon nach dem Mittagessen Schluss. Um 15 Uhr starten dann die Feierlichkeiten für die erste Gruppe mit einem kleinen Empfang auf dem Gang vor der Kantine. Es gibt Punsch, Cookies und andere Kleinigkeiten. Weil in der Kantine nicht genügend Platz für alle ist und zudem kritische Bereiche der Station, wie beispielsweise das Kraftwerk, rund um die Uhr besetzt sein müssen, gibt es das Essen in zwei Gruppen. Ich gehöre zur ersten Gruppe. Nach dem Empfang wechseln wir in die Kantine. Die Tische sind mit Tischdecken und Porzellanteller eingedeckt – sonst gibt es nur Plastikgeschirr, die Fenster sind verdunkelt, und statt Kerzen stehen elektrische Lichter auf den Tischen. Feuer ist überall strengstens verboten.
Der Stationsleiter hält eine kurze Ansprache und erinnert daran, dass auf den Tag genau vor 95 Jahren Richard Byrd und seine Mannschaft als erste mit einem Flugzeug den Südpol überflogen. Sie starteten von einer Station namens „Little Amerika“ und mussten unterwegs zwei Säcke mit Proviant abwerfen, um leichter zu werden und genügend Höhe für die Überquerung das transantarktischen Gebirges zu erreichen. Am Pol warfen sie eine Fahne ab, flogen etwas links und rechts um etwaige Navigationsfehler auszugleichen, und kehrten dann nach Litte Amerika zurück. Insgesamt waren sie 18 Stunden unterwegs. Heute dauert der Flug zum Pol mit den LC-130 nur etwa drei Stunden, gefühlt gibt es aber mit den Flugzeugen heutzutage deutlich mehr technische Probleme. Das liegt sicherlich auch mit am Alter, denn die LC-130 wurden in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gebaut. Byrds Flugzeug war hingegen damals vermutlich neu.
Thanksgiving in der Kantine
Zum Essen gibt es ein Buffet mit Truthahn, Schinken, gekochtem Kürbis, Kartoffelbrei und anderen Sachen. Das Küchenpersonal hat sich wirklich viel Mühe gegeben. Ich sitze neben Paul, einem in Alexandra in Neuseeland lebenden Engländer. Paul ist für ein paar Wochen hier und wird die Gebäude vermessen und deren Sinkraten bestimmten. Die Station steht nicht auf Fels sondern auf Eis und sinkt langsam ein. Ich hatte Paul bereits vor zwei Jahren hier auf der Station getroffen. Die Stimmung ist gut wenn auch nicht ausgelassen. Nach 1,5 Stunden müssen wir dann auch schon unsere Plätze verlassen. Es wird eingedeckt für die zweite Gruppe. Ich treffe mich mit John, Dan und ein paar anderen im Spielezimmer und wir spielen eine Runde Siedler von Cartan. Das Spiel ist bei der Stationsbesatzung sehr beliebt. Nebendran spielt eine andere Gruppe Pool. Wieder andere machen im Musikzimmer Musik, in der Lounge läuft die Spielekonsole und im Besprechungsraum hat sich eine Gruppe zu einem Bier zusammengefunden.
Nach dem Spiel gehe ich zurück ins Labor und nutze die Zeit um Updates für das Betriebssystem unseres Lidarcomputers runterzuladen. Wenn die Leute hier feiern ist die Internetverbindung wenig ausgelastet, und ich schaffe es auch größere Pakete zu holen. Nun zurück zu der eigentlichen Arbeit. Nachdem ich gestern den Laser abbaute, konnte ich heute am Vormittag das Laserfenster herausnehmen. Ein Blick darauf hat mich zunächst schockiert, denn sowohl auf der Innenseite als auch auf der Außenseite waren Schlieren und Punkte zu erkennen. Das sollte so nicht sein. Der Laser hat solch eine hohe Pulsspitzenleistung, dass selbst kleinste Verschmutzungen heiß werden und Löcher in die optische Beschichtung der Glasscheiben brennen. Unbeschichtete Scheiben reflektieren normalerweise 4% des Lichtes. Um die Reflektivität zu verringern, werden die Laseroptiken mit einem speziellen dielektrischen Film überzogen. Bei Brillen nennt man das „entspiegeln“. Ist die Schicht beschädigt, kann die Reflektivität auch auf deutlich über 4% steigen. Das bedeutet Signalverluste für unser Lidar. Was aber viel schlimmer ist, bei punktuellen Beschädigungen wird das Licht an den beschädigten Stellen gebeugt. Das Profil des Laserstrahls wird sozusagen „zermatscht“ mit dem Ergebnis, dass der Strahl auffächert. Und diese Verluste sind potentiell deutlich größer als die 4% einer unbeschichteten Glasplatte. Bei den Laserspiegel am Teleskop passiert es öfters mal, dass sich Staub ablagert und dadurch die Beschichtung auf den Spiegel zerstört wird. Wir haben aus diesem Grund Ersatzspiegel hier. Bei den vertikalen Fenstern haben wir jedoch nicht mit einer Beschädigung gerechnet, es sollte sich dort kein Staub ablagern. Aus Kostengründen haben wir vor zwei Jahren keine Ersatzfenster gekauft, und nun können wir auch keine neuen Fenster so schnell hierherschicken.
Ich mache dutzende Fotos aus allen möglichen Winkeln von den Scheiben und beginne dann damit, die Scheiben vorsichtig mit Optikpapier und Lösungsmitteln zu reinigen. Isopropanol scheint keine Wirkung zu haben, also versuche ich es mit Aceton. Damit lassen sich zumindest die Schlieren Stück für Stück entfernen. Dutzende Male ziehe ich ein feuchtes Papier langsam über die Oberfläche, die Punkte bleiben jedoch. Was tun? Ich habe hier kein Mikroskop und meine Augen sind nicht gut genug um zu erkennen, ob es sich bei den Punkten um Partikel auf der Oberfläche oder um Krater in der Beschichtung handelt. Wieder und wieder leuchte ich mit der Taschenlampe unter verschiedenen Winkeln auf die Oberfläche und versuche an den Rändern der Punkte Schatten auszumachen. Vergebens. Schließlich nehme ich all meinen Mut zusammen und tue das, was man sonst nie mit Laseroptiken macht. Ich tropfe Aceton auf die Oberfläche und beginne dann mit einem Optikpapier mit leichtem Druck auf der Optik zu reiben. Man macht das normalerweise nicht, weil wenn sich ein Partikel löst und es sich um ein hartes Partikel handelt, die Gefahr besteht, dass man damit die Oberfläche verkratzt und die Beschichtung zerstört. Zunächst passiert nichts. Ich drücke stärker und die Punkte lösen sich tatsächlich. Es sind keine Kratzer entstanden. Bei den Punkten muss es sich demnach um organische und keine mineralischen Partikel gehandelt haben. Manchmal muss man einfach Glück haben.
Die Beschichtung der Glasscheiben erscheint unter flachen Winkeln blau. Die orange-grün-blauen Flecken und Punkte sind Verschmutzungen auf der Oberfläche.