Flugbewegungen
Die Arbeiten an der Teleskop-Box gehen weiter. Peter, einer der Schreiner, hat Bleche zurechtgeschnitten und wir beginnen mit dem Einbau. Unglücklicherweise hatten seine Kollegen beim Bau der Box vor zwei Jahren die Styrodurplatten der Isolierung nicht richtig befestigt. Als die Platten beim Festschrauben der Bleche nach außen gegen die äußere Holzverkleidung gedrückt werden, reißen die verklebten Fugen an den Kanten der Platten auf. Wir müssen die Box wieder dicht bekommen, da die Klimaanlage der Station mit Überdruck arbeitet und durch Undichtigkeiten warme Luft aus dem Labor ins Innere der Box gedrückt wird. Durch den großen Temperaturunterschied im Winter zwischen der Luft in der Station und außen von fast 100 Grad entstehen Turbulenzen, die den Laserstrahl wackeln lassen und das Empfangssignal des Lidars beeinträchtigen. Das müssen wir unbedingt verhindern. Also werden wir morgen wieder einen Teil der Bleche abnehmen und die Platten neu verkleben müssen. Zwei Schritte vor und einen zurück. Manchmal auch umgekehrt. Nun ja, das gehört auch zur Experimentalphysik. Anstatt Optiken zu justieren kann man auch ganz viel Zeit mit nicht glamourösen Dingen wie der Montage von Blechen, dem Abfeilen von Aluprofilen oder dem Schneiden von Gewinden verbringen; alles Dinge, die auf den ersten Blick nichts mit der Physik zu tun haben, aber letztendlich auch mit darüber entscheiden, ob ein Experiment erfolgreich ist oder nicht. Jetzt bin jedenfalls wieder dankbar um die Grundlagen der Metallbearbeitung, die mir mein Onkel in meiner Kind- und Jugendzeit beibrachte.
Die ersten Bleche sind in der Teleskop-Box montiert.
Mittags erreichen uns nacheinander zwei Flugzeuge aus McMurdo. Sie bringen Fracht und neue Leute. Es ist eine konzentrierte Aktion, die da auf dem Vorfeld stattfindet. Als das Flugzeug die Parkposition neben dem Terminal erreicht, stehen die Raupenschlepper mit der Fracht nach McMurdo schon bereit. Ein anderer Raupenschlepper schiebt einen Schlitten an die Laderampe am Heck des Flugzeugs und das Flugpersonal beginnt, die Frachtpaletten aus dem Flugzeug auf den Schlitten zu schieben. Als das erledigt ist, wird der Schlitten weggezogen und ein anderer Raupenschlepper mit Gabel bringt die erste Palette mit Fracht, die nach McMurdo zurückbefördert werden soll. Das ein Einladen dauert etwas länger, denn die Paletten, die mehrere Tonnen wiegen, müssen mit der Gabel des Schleppers präzise im richtigen Winkel und in der richtigen Höhe an die Laderampe des Flugzeugs gehoben werden. Anschließend werden sie auf die Rampe gezogen, in Führungsschienen eingeklinkt und schließlich in das Innere des Flugzeugs befördert. Als der erste Schlepper noch mit dem Ausrichten der Palette an der Laderampe beschäftigt ist, stehen bereits zwei weitere Schlepper mit Paletten hinter dem Flugzeug aufgereiht. Währenddessen laufen die Triebwerke des Flugzeugs weiter und die sich drehenden Propeller machen einen Höllenlärm. Im Leerlauf verläuft die Verbrennung des Treibstoffs in den Triebwerken nicht so sauber und so legt sich hinter dem Flugzeug langsam eine dunkle Rußschicht auf den Schnee. Die Triebwerke müssen während des Entladens und Beladens weiterlaufen, damit sie nicht auskühlen.
Das wartende Flugzeug wird mit Frachtpaletten beladen.
Die erste Palette ist drin. Der Raupenschlepper zieht sich zurück und der nächste Schlepper rückt mit seiner Fracht vor. Währenddessen kommt ein kleiner roter Pistenbully auf dem Weg zum Ice-Cube Lager auf der anderen Seite des Flugfeldes vorbei. Nächstes Jahr werden neue Löcher für den Ausbau des Neutrinodetektors ins Eis gebohrt, und ein Teil der Fracht enthält Material und Ausrüstung hierfür. Dann folgt ein „Taxi“ zum Südpolteleskop, was sich ebenfalls auf der anderen Seite befindet. Es besteht aus einem Schneemobil mit angehängtem Schlitten. Wer mit möchte, steigt auf den Schlitten auf und hält sich an einer Stange fest. Nachdem die letzte Palette sicher im Flugzeug festgemacht ist, sind die Passagiere mit dem Einsteigen dran. Diesmal verlässt uns mit Jenny nur eine Person. Ich habe kein Gesicht zu diesem Namen gespeichert, und so eingehüllt mit Maske und Brille würde ich auch sicherlich kein Gesicht erkennen. Aber es kleben Namensschilder auf den Parkas, und auf den Bildschirmen in der Kantine werden die Listen mit den Zu- und Abgängen der Station angezeigt.
Auf dem Schlitten befinden sich die ausgeladenen Frachtpaletten.
Ein “Taxi” nimmet Personen zum Südpolteleskop mit.
Nach gut einer Stunde des Parkens werden die Türen des Flugzeugs geschlossen und der Abflug vorbereitet. Das Wetter wird schlechter; der Wind nimmt zu und Eiskristalle werden aufgewirbelt. Die Sichtweite nimmt rapide ab und ich kann das Ende des Flugfeldes schon nicht mehr erkennen. Dann höre ich das Dröhnen des zweiten Flugzeugs. Ich kann es nicht sehen, aber offensichtlich ist es gelandet, denn das charakteristische Brummen der Propeller ändert sich. Schließlich sehe ich es an der ersten Ausfahrt der Landebahn auftauchen und auf die Parkposition zusteuern. Nun heulen die Triebwerde des ersten Flugzeugs auf und mit einem Ruck setzt es sich in Bewegung. Im aufgewirbelten Schnee verschwindet das zweite Flugzeug wieder, aber die beiden Flugzeuge müssen nun dicht hintereinander sein, denn ich kann sie beide hören. Schließlich biegt das erste Flugzeug ab und verschwindet hinter einer Wand aus Eiskristallen. Es wird gleich starten. Als das zweite Flugzeug die Parkposition erreicht, stehen die Raupenschlepper schon wieder bereit, und der Aus- und Einladevorgang wiederholt sich.
Das erste Flugzeug verlässt die Parkposition.
Das zweite Flugzeug rutscht auf die Parkposition zu. Im Vordergrund zieht ein Raupenschlepper einen Schlitten mit einem Container zum Ice-Cube Camp auf der anderen Seite des Flugfeldes.
Für den Abend sind zwei weitere Flüge angekündigt. Dominique und Yucheng wollen nun wegen des sich verschlechternden Wetter bereits heute zurück nach McMurdo, um ihren Rückflug nach Christchurch am Sonntag nicht zu verpassen. Während sich das dritte Flugzeug, ein Tanker, kurz nach 18 Uhr in McMurdo auf den Weg zu uns macht, wird der vierte Flug bereits wegen schlechten Wetters abgesagt. Ich gehe nach draußen, um Fotos von der Ankunft zu machen und Dominique und Yucheng zu verabschieden. Es ist grau und die Sonne ist mit Wolken verhüllt. Auf dem Weg zu Flugfeld spüre ich denk kalten Wind im Gesicht, noch nicht gefährlich aber doch unangenehm. Ich hätte meine Maske mitnehmen sollen. Am Rande des Flugfeldes stelle ich mich neben die Tankcrew, die später den Treibstoff vom Flugzeug in die Lagertanks der Station pumpen wird. John steht mit seinem Raupenschlepper und Dominiques und Yuchengs Gepäck nur ein paar Meter weiter. Wir starren zum fernen Ende des Flugfeldes, können aber in den Wolken nichts erkennen, als die geplante Landezeit verstreicht. Dann erreicht uns endlich ein Dröhnen, nicht vom Flugfeld her, sondern von direkt über uns. Ich reiße meinen Blick nach oben und kann durch eine Wolkenlücke für ein paar Sekunden die Umrisse des Flugzeugs und die orangen Markierungen am Leitwerk erkennen. Dann ist es wieder verschwunden. Sie haben die Landung abgebrochen, dämmert es mir, was dann auch gleich über Funk bestätigt wird. Die Vorschriften der Nationalgarde legen fest, dass die Landung abgebrochen werden muss, wenn die Piloten bei einer Flughöhe von 90 m über Grund die Landemarkierungen nicht erkennen können. Unsichtbar für uns steuern die Piloten ihr Flugzeug in einer langen Kurve über den Dark Sektor hinaus zurück zum Anflugpunkt für einen erneuten Landeversuch. Minutenlang herrscht Stille, dann hören wir wieder ein Motorengeräusch, nicht direkt über uns, sondern weiter von der Landebahn entfernt in Richtung Station. Auch dieser Landeversuch ist fehlgeschlagen. Diesmal bin ich besser vorbereitet und schaffe es, ein Bild vom Flugzeug über uns zu machen, bevor es wieder in den Wolken verschwindet. Die Piloten kreisen noch eine Weile in der Nähe des Anflugpunktes in der Hoffnung, dass sich das Wetter bessern wird. Es ist ein Tanker, Treibstoff haben sie genug an Bord, und das Zeitlimit ist eher das schlechter werdende Wetter für die spätere Landung in McMurdo. Ich mache mich auf den Rückweg zur Station. Wenn man nur dasteht, wird es langsam doch kalt. Ein paar Minuten später kommt schließlich die „Boomerang“-Durchsage; das Flugzeug ist wieder auf dem Weg zurück nach McMurdo. Dominique und Yucheng bleiben wohl noch ein paar Tage hier.
Die LC130 befindet sich nach einem abgebrochenen Landeversuch für einen kurzen Moment über uns.