Als erste Aktion des Tages laufe ich zum nahegelegen Supermarkt und kaufe frisches Obst und Schokolade. Ich setze mich ins Gras und beginne mein spätes Frühstück. Währenddessen betrachte ich meine Umgebung und die vielen Menschen, die hier vorbeikommen. So viel grün, so viele verschiedene Farben, so viele Kinder mit ihren Eltern. Und ich denke über die letzten Wochen nach. Es hat nur eine Nacht gedauert, um aus der Eiswüste hierher zu kommen, zurück ins Leben. Ja, es war eine außergewöhnliche Zeit geprägt von Zwangspausen und intensiver Arbeit. Die Ungewissheit der Tage in McMurdo, ob wir es überhaupt bis zum Pol schaffen werden. Nach dem riesigen Aufwand hierherzukommen wäre es sehr enttäuschen gewesen, unverrichteter Dinge wieder nach Hause zurückkehren zu müssen. Dann die langen Arbeitstage am Pol mit der Frist im Nacken, den letzten Rückflug zu verpassen und für Wochen festzusitzen, während die Familie zu Hause wartet. Noch mehr als die vielen Arbeitsstunden zehrt die emotionale Erschöpfung.

Die Station ist ein sehr ungewöhnlicher Ort – nicht nur wegen der äußeren Bedingungen. Auch die Gemeinschaft ist dort ganz anders. Unbewusst ist allen klar, dass wir in hohem Maße voneinander abhängig sind, bis hin zum Überleben an diesem unwirklichen Ort. Wenn der Koch sich weigert zu kochen, können wir nicht in den nächsten Supermarkt laufen und Fertigpizza holen, oder ins nächste Restaurant gehen. Und sollte das Kraftwerk ausfallen, dann wird es sehr schnell äußerst ungemütlich. Das Leben dort kann nur funktionieren, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt. Das ist eine unglaublich starke Verbindung, und unterbewusst schwingt das immer mit. Ich habe noch nie so oft das Wort „Danke“ gehört. Und das ist nicht nur so als Floskel daher gesagt, sondern es drückt Anerkennung aus: „Danke, dass du das für uns tust“ und unterbewusst geht es weiter „obwohl du das laut Arbeitsvertrag eigentlich nicht tun müsstest“. Es ist dieses Einbringen in die Gemeinschaft, was ich in dieser Intensität sonst außerhalb der Antarktis nirgends erlebt habe. Fast eine Wirklichkeit gewordene Utopie. Neben den Eigentümlichkeiten, die das Leben aufgrund der dort herrschenden Umweltbedingungen mitbringt, ist dies vielleicht die wichtigste Erfahrung.

Damit bin ich am Ende meiner täglichen Berichte angekommen. Dies war der Versuch aus persönlicher Sicht eines Südpolreisenden die Eindrücke zu beschreiben und festzuhalten, solange sie noch frisch und möglichst ungefiltert sind. Es sollte ganz bewusst keine Dokumentation und keine historische Dokumentation werden. Stattdessen habe ich versucht aufzuschreiben was mich jeden Tag bewegt hat, um euch an der Reise teilhaben zu lassen. Ich hoffe, das ist mir zumindest ansatzweise gelungen.

Zum Schluss bleibt mir Natalie und der Familie „Danke“ zu sagen. Man kann solch ein Projekt wie der Betrieb eines Lidars am Südpol nur mit Unterstützung von zu Hause durchführen. Es ist ja nicht nur die Reisezeit selbst, sondern auch die Vorbereitung, und es sind die vielen Abende und Nächte im Labor, die ich nicht zu Hause bin. Natalie als temporär Alleinerziehende mit drei Kindern hat es nicht leicht, das ist mir immer bewusst. Ich habe Glück, dass ich so eine verständnisvolle Familie habe, die die wissenschaftlichen Projekte so klaglos akzeptiert. Die vielbeschworene Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Wissenschaftler ist vollkommener Blödsinn. Ohne eine Familie, die mitzieht und unterstützt – und öfters auch zurücksteckt – geht es nicht. Danke.

Bernd

Flughafen Christchurch, 22. Dezember 2024