Ich bin schon seit um 5 Uhr wach, denn meine Zimmerkollegen brechen bereits eine Stunde später zum Pol auf. Wenn alles klappt, ist das heute mein letzter Tag in McMurdo. Nach dem Aufstehen kontrolliere ich als erstes die Anzeigen mit den heutigen Flügen. Es ist noch alles wie gestern: Ankunft der C-130 hier um 17 Uhr, Transport zum Phoenix Air Field um 15:30 und wiegen um 08:00 Uhr. Zeit für ein ausgiebiges Frühstück. Dann packe ich zusammen und schleppe alle meine Sachen den Berg hoch zu Gebäude 140. Dort wird zunächst mein Gepäck gewogen, dann stelle ich mich selbst auf die Waage. Noch 7 Stunden. Ich lasse das Gepäck hier und gehe zurück in mein Zimmer. Wir werden fast die ganze Nacht durch nach Christchurch unterwegs zu sein, also versuche ich noch ein paar Stunden zu schlafen. Aber es gelingt mir nicht und so döse bis zum Mittagessen nur vor mich hin.

Dieser uralte DELTA Truck bringt uns raus zum Phoenix Flugfeld

Um 15:30 Uhr werden wir vor Gebäude 140 von einem uralten DELTA Truck abgeholt. Ein letztes Mal geht es die staubige Straße entlang. Kurz bevor wir das Eis erreichen, halten wir kurz. An einer Waschstelle wird der Truck außen abgespritzt, um zu verhindern, dass schwarzer Staub bei unserer Weiterfahrt auf dem Eis in den Schnee fällt. Die schwarzen Staubteilchen heizen sich so intensiv in der Sonnenstrahlung auf, dass sie Löcher in das Eis schmelzen und die Piste somit weiter zerstören. Auch so ist Piste auf dem Eis in schlechtem Zustand, und es dauert über eine Stunde, bis wir Phoenix erreichen. Unterwegs sehen wir einige Pinguine entlang der Strecke. Es ist eine Gruppe von Kaiserpinguinen. Die Robbenzähler mit mir im Truck flippen beinahe aus, beginnen zu kreischen und zücken ihre Handys. Offensichtlich war das ihre erste Begegnung mit Pinguinen, wenn auch nur aus der Ferne. Trotz der langen Fahrt erreichen wir Phoenix noch bevor das Flugzeug, eine C-130, hier eintrifft. Wir stellen uns an den Rand des Flugfeldes und warten. Dann erscheint ein Punkt im Himmel, der langsam größer wird und Rußschleppen hinter sich herzieht. Es ist immer ein bewegender Moment, wenn in dieser desolaten Gegend zum vereinbarten Zeitpunkt ein Flugzeug auftaucht, ja es hat fast etwas Zauberhaftes. Würde es nicht kommen, dann gäbe es für uns keinen Weg zurück nach Neuseeland. Wir wissen fast auf die Minute genau, wann das Flugzeug auftauchen wird und bekommen über Funk die abgeflogenen Wegpunkte durchgegeben. Wie das wohl für Scotts Männer vor etwas mehr als 100 Jahren war? Sie konnten nur Tag ein Tag aus nach einem Schiff Ausschau halten und hatte nicht einmal Wissen darüber, ob es überhaupt wie im Jahr zuvor vereinbart losgesegelt ist.

Warten auf das Flugzeug. Im Hintergrund sieht man Erebus, den einzigen aktiven Vulkan in der Antarktis. Heute scheint er jedoch zu ruhen, denn es ist keine Rauchfahren zu erkennen.

Das Flugzeug setzt auf dem Eis auf, wird langsamer und bleibt schließlich an der Rampe stehen. Es ist das letzte Flugzeug für dieses Jahr. Ich habe es geschafft; es muss nur wieder abheben. Zu meiner Überraschung schalten die Piloten die Triebwerke aus. Richtig, wir sind nicht mehr am Pol und es ist warm hier. Die Crew hat bereits die große Ladeluke am Heck geöffnet. Ein Stapler nähert sich der Rampe und beginnt mit der üblichen Entlade-/Ladeprozedur. Wir warten noch etwa eine Stunde, dann winkt uns die Crew an Bord. Das Einsteigen ist für uns mittlerweile Routine, aber mit 29 Personen als Fracht ist es in dem kleinen Flugzeug recht eng. Es dauert etwas, bis jeder sein Gepäck verstaut und einen Platz für sich gefunden hat. Für die Crew aus Nevada ist es erst der zweite Flug in die Antarktis. Sie sind deutlich weniger routiniert als ihre Kollegen aus New York, die seit Jahren hier fliegen. So dauert es dann gefühlt auch noch eine Stunde, bis wir starten. Den Piloten scheint es jedenfalls Spaß zu machen, denn kaum haben wir abgehoben, ziehen sie die Maschine in einer Steilkurve auf Nordkurs. Die g-Kräfte pressen uns auf den Boden des Flugzeugs, um ein Vielfaches stärker als ich es je bei einem Passagierflugzeug erlebt habe. Mein Magen macht Anstalten, zu revoltieren. Nur nicht denk Kopf bewegen, rede ich mir selber ein. Nach kurzer Zeit haben wir die Reiseflughöhe erreicht. Auch hierbei geht es im Vergleich zu Passagiermaschinen rabiat zu. Anstatt langsam einzupendeln, drückt der Pilot die Nase nach unten und wir werden kurz schwerelos. Von da an verläuft der Flug ruhig, wofür ich sehr dankbar bin. Ich kann nicht nach draußen schauen, aber ich beobachte die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster über mir die gegenüberliegende Wand des Frachtraums treffen. Je weiter wir nach Norden gelangen, umso tiefer sinkt der Strahl. Dann verschwindet der Strahl schließlich – die Sonne ist untergegangen. Das erste Mal seit mehr als vier Wochen. Die spärlichen Lichter an der Decke mögen den Bauch des Flugzeugs kaum erhellen und so wird es dunkel.

Das Flugzeug, eine C-130, kurz vor der Landung in Phoenix

Über dem südlichen Ozean werden wir dann wieder durchgeschüttelt – schweres Wetter liegt voraus. Es dauert nicht lange, bis mir übel wird und mein Kreislauf wegsackt. Ich schiebe meinen Rucksack weg und versuche mich soweit wie möglich flach hinzulegen. Es sind noch etwa vier Stunden bis zur Landung, und es gibt keine Möglichkeit, hier auszusteigen. Ich verliere jedes Gefühl für die Zeit. Vielleicht habe ich geschlafen, vielleicht habe ich zwischendurch das Bewusstsein verloren. Irgendwann rüttelt mich jemand von der Crew: die Landung steht bevor und es ist Zeit, sich anzuschnallen. Kaum merklich setzt das Flugzeug auf. Wir rollen noch eine Weile, dann bleibt das Flugzeug stehen. Die Türe geht auf und feuchte, warme Luft dringt zu uns herein. Es riecht so anders.

Ein Bus bringt uns zum Terminal. Wir bringen die Einreise hinter uns, holen unser Gepäck und laufen zum Clothing Distribution Center auf der anderen Straßenseite, wo uns trotz der sehr frühen Morgenstunden ein gutgelaunter Mitarbeiter in Empfang nimmt. Am Ende der Halle landet unsere Antarktiskleidung auf einem großen Haufen, dann sind wir entlassen. Mein Hotel für die verbleibende Nacht ist nur weniger Hundert Meter entfernt. Ich gehe nach draußen und schaue in den schwarzen Himmel. Ein paar wenige Sterne scheinen durch die Wolken. Es ist warm und duftet nach feuchtem Gras. Ich bin zurück, und es ist einfach wunderbar.

Unsere nicht mehr benötigte Antarktiskleidung landet auf einem großen Haufen.