Ich habe schrecklich geschlafen. Zum großen Teil lag das an den Diamox-Tabletten, die wir gestern verabreicht bekommen haben. Diamox dehydriert den Körper und beugt damit der Bildung eines Lungenödems vor. Die Station am Pol liegt auf etwa 3000 Metern Höhe und die Luftfeuchte ist bei null. Da wir von McMurdo auf Meereshöhe starten und der Flug nicht einmal drei Stunden dauert, bleibt keine Zeit zur schrittweisen Akklimatisierung und milde Formen der Höhenkrankheit sind in den ersten Tagen nach Ankunft am Pol die Regel. Jedenfalls führt Diamox dazu, dass ich fast stündlich auf Toilette muss und an Schlafen kaum zu denken ist.

Auf dem Weg zur Kantine kommen wir an der Anzeigetafel mit den Flügen vorbei und meine Laune bessert sich merklich. Unser Flug zum Pol ist überraschenderweise nicht abgesagt und soll wie geplant um 10:30 Uhr heute starten. Ich bin froh, diesen Ort bald verlassen zu können.

Ich treffen einen Piloten von KBA (Ken Borek Air) aus Kanada, der mit uns auf dem Weg zum Pol ist und dort ein Basler-Flugzeug fliegen soll. Er war ein Kollege von Bob und Perry. Die beiden waren die ersten Personen, die uns mit einer Twin Otter nach dem langen Winter 2011 auf Davis erreichten, und dann zwei Jahre später auf einem Flug nach Terra Nova Bay abstürzten. Es war ein Aufschlag bei voller Geschwindigkeit und von ihnen und ihrem Flugzeug blieb nichts übrig, was sich hätte nach dem Unfall bergen lassen. Nur das Heck des Flugzeuges schaute noch aus dem Eis hervor. Wir reden noch eine Weile über uns bekannte Kollegen. Abgesehen von den Touristen und Arbeitern ist die Antarktis eine eng verknüpfte Gemeinschaft und man kennt sich auch noch viele Jahre später.

Schließlich werden wir von einem Taxi zum Flugfeld hinausgefahren, dieselbe Strecke wie gestern nur in umgekehrter Richtung. Auf dem Eis passieren wir mit großem Abstand die Hangars, in denen die Stratosphärenballone der NASA und vor allem auch die wissenschaftlichen Nutzlasten auf den Start vorbereitet werden. Das sind riesige mit Helium gefüllte Ballone mit bis zu 150 Metern Durchmesser, welche Nutzlasten von mehreren Tonnen bis in 40 km Höhe tragen können. Sofern alles mit unserem B-SoLiTARe Projekt klappt, wird einer der beiden Hangars mein Arbeitsplatz im November und Dezember 2025 sein. B-SoLiTARe ist eine Ballonmission der NASA, bei der unsere Gruppe am DLR eines der Lidarinstrumente stellt. Der Start war ursprünglich für 2024 geplant, ist aber nun um ein Jahr verschoben.

LDB Hangar Die beiden Hangars, in denen die Ballonflüge der NASA vorbereitet werden

Am Flugfeld angekommen müssen wir noch ein paar Minuten warten. Ich laufe durch das Camp und besuche die Toilette in Gedanken daran, dass das Diamox den bevorstehenden Flug bestimmt interessant machen würde. Es ist ein klarer Tag und die Aussicht und das grelle Licht ist beinahe überwältigend. Man kann den Vulkan Erebus und den Berg Terror gut erkennen.

Flugfeld mit Erebus im Hintergrund Die Container des Camps am Flugfeld mit dem Vulkan Erebus im Hintergrund

Dann werden wir auch schon zum wartenden Flugzeug gebracht. Wir sind nur 8 Personen und das Flugzeug ist praktisch leer. Nur eine kleine Palette mit unserem Gepäck und ein paar anderen Dingen thront auf der hochgeklappten Laderampe.

Eine LC-130 Hercules auf dem Flugfeld Diese LC-130 Hercules bringt uns zum Pol

Der Flug verläuft ereignislos und auf dem Weg zum Pol sehen wir immer wieder aus dem Eis ragende Berggipfel. Im Frachtraum ist es abwechselnd heiß und kalt – die Heizung scheint sich nicht auf eine Temperatur festlegen zu wollen. Aber ich bin froh, dass es eine Heizung gibt. In unserer Flughöhe herrscht eine Außentemperatur von unter -60°C und das Flugzeug scheint keine Isolierung zu besitzen.

Berge Auf dem Flug zum Pol ragen hin und wieder Berggipfel aus dem Eis

Nach einer Flugzeit von knapp drei Stunden landen wir auf dem Eis am Pol. Noch während das Flugzeug auf den Skiern auf die Station zurutscht, öffnet die Besatzung die Laderampe und wirft die Palette mit dem Gepäck aus dem Flugzeug, ein „Military Drop“. Hier ist es so kalt, dass die Luke so schnell wie möglich wieder geschlossen wird. Auch die Triebwerke werden während des etwa einstündigen Aufenthalts des Flugzeugs am Pol laufen gelassen, dann kehrt es wieder zurück nach McMurdo.

Aufwurf der Gepächpalette Die Palette mit dem Gepäck wird während der Fahrt auf dem Eis durch die offene Ladeluke abgeworfen

Ankunft am Pol Wir haben es geschafft und laufen zur Station am Pol

In Sichtweite der Station stoppt das Flugzeug und wir steigen aus. Grelles Licht erreicht uns und mit der FFP2 Maske auf beschlägt die Sonnenbrille sofort. Wir laufen auf das Ankunftskomitee zu. Obwohl wir nur 8 Personen sind, hält Sherly, die Wissenschaftskoordinatorin auf der Station, ein Schild mit Christopher und Bernd hoch – eine nette Geste. Als wir mit dem Gepäck einen leichten Schneeberg hochlaufen, kommt es mir vor, als würden wir einen Berg hochrennen. Die dünne Luft lässt meinen Puls nach oben schnellen. Sherly fragt uns ob sie unser Gepäck nehmen soll. Ich lehne ab, der Berg ist doch nicht mal 5 Meter hoch. Im Treppenturm der Station bin ich schließlich kurz davor, meine Meinung zu ändern. Noch ein paar Stufen – warum nur müssen alle so rennen. Dann erreichen wir einen Raum mit grünen Sofas, die beim Hinsetzen fast bis auf den Boden zusammensinken. Ob ich da jemals wieder hochkomme? Die Stationsleiterin stellt sich vor und es folgt das übliche Einführungsvideo, währenddessen sich mein Puls merklich beruhigt. Im Anschluss daran kommt der obligatorische COVID-Test und dann werden wir in unsere Zimmer entlassen. 5 Tage Quarantäne stehen vor uns bevor wir mit der Arbeit beginnen können. Doch zunächst das Wichtigste: auf zur Toilette.

Eine Stunde später gibt es in der Kantine Abendessen. Im Unterschied zu McMurdo gibt es nur ein großes Gebäude, in dem Kantine, Aufenthalts- und Schlafräume, Klinik und Büroräume untergebracht sind. Man muss also nicht nach draußen um von einem Bereich in den anderen zu kommen, was bei Temperaturen um -70°C im Winter auch sehr unpraktisch wäre. Als Neuankömmlinge in Quarantäne haben wir ein 15 Minuten Zeitfenster, in dem wir unsere Teller vollladen können. Gegessen wird dann auf den Zimmern. Ich nehme noch eine Diamox-Tablette und falle müde ins Bett.