Wir wollen heute einen erneuten Versuch unternehmen und das Lidar-Teleskop besser fokussieren. Die erste Aktion des Tages ist der Gang zu Kyle, dem Stationsmeteorologen. Kyles Büro ist eine Ecke im B2 Labor ausgestattet mit einem Schreibtisch mit Computer und dem unbeschreiblichen Luxus eines Sofas – soweit ich das überblicke, das einzige im ganzen Labor. Kyles Akzent verrät sofort, dass er aus Texas stammt. Dies ist sein erster Job als Stationsmeteorloge in der Antarktis und er wird bis November bleiben, das bedeutet überwintern. Was mich verwundert: Er ist auch der einzige Meteorloge und Wetterbeobachter hier. Auf der Davis-Station, die viel kleiner ist und kaum Flugverkehr hat, hatten wir eine Meteorlogin und zusätzlich zwei Wetterbeobachter.

Bild Stationsmeteorologe Kyle Stationsmeteorloge Kyle in seinem Büro

Nachdem sein für Donnerstag/Freitag vorhergesagter Sturm ausblieb, haben wir alle Kyle etwas aufgezogen, was er mit sehr viel Humor genommen hat. Dafür hat er mich für heute als Hilfsmeteorloge rekrutiert und mir den Start der Radiosonde überlassen. Auf der Südpolstation werden zweimal am Tag Radiosonden gestartet, um 10 Uhr morgens und 10 Uhr abends. Die Sonden hängen an einem kleinen Helium-Ballon, der sie typischerweise bis in 35 km Höhe trägt. Auf dem Weg nach oben messen die Sonden Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchte, und aus GPS-Positionsmessungen kann die Windgeschwindigkeit und Windrichtung abgeleitet werden. All die Daten werden automatisch per Funk an die Bodenstation übertragen, um dann in Modelle für die Wettervorhersage eingespeist zu werden.

Für die Vorbereitung des Ballonstarts gehen wir ins Cryo-Gebäude, das ca. 150 Meter von der Station entfernt ist. Hier gibt es ein Lager voll mit Heliumflaschen, einen Kompressor zur Erzeugung von flüssigem Stickstoff, ein Lager für ich-weiß-nicht-was, und eine Halle für das Füllen der Ballone. Während Kyle die Radiosonde am Computer initialisiert, bereite ich einen Ballon vor und fülle ihn mit Helium. Helium ist bedeutend ungefährlicher als der Wasserstoff, den wir auf Davis als Ballongas benutzen. Wir binden die Sonde an den Ballon und warten bis die GPS-Statusanzeige grün leuchtet. Dann öffnet Kyle das Tor und ich laufe mit dem Ballon nach draußen. In sicherer Entfernung von dem Gebäude lasse ich zuerst den Ballon und kurz darauf die Radiosonde los. Der Ballon steigt nun mit etwa vier Metern pro Sekunde in die Höhe und driftet mit dem Wind ungefähr Richtung Grid-Süden. Wir können ihn nicht lange mit den Augen verfolgen, da das Gegenlicht der Sonne uns blendet.

Bild Bernd hält eine Radiosonde Hilfsmeteorologe Bernd beim Start des Ballons. Das weiße Teil in der Hand ist die Radiosonde

Auf dem Rückweg zur Station mache ich ein Bild von den „Sundogs“, den von den Eiskristallen erzeugten Lichtringen um die Sonne. Der zweite schwächere Ring ist leider auf dem folgenden Bild nur sehr schwer zu erkennen.

Bild Sundog
Den ganzen Tag über sehen wir „Sundogs“ – von Eiskristallen verursachte Lichtringe um die Sonne

Zurück im Büro verfolgen wir die Daten, welche die Radiosonde zum Boden sendet. Auf dem Graphen mit den Temperaturmessungen erkennen wir die für die Antarktis typische Inversionsschicht. Noch am Boden registrierte die Sonde eine Temperatur um -33°C. Während des Aufstieges wird es dann zunächst wärmer, bis -27°C in 400 Metern über dem Boden, und erst darüber fällt die Temperatur wieder ab bis die tiefste Temperatur in der Tropopause (je nach Jahreszeit in 7000 bis 10000 Metern Höhe) erreicht wird. Wir sehen noch eine weitere kleine Inversionssicht in etwa 1500 Metern über dem Boden, ein Indiz für eine Wolke bestehend aus flüssigem unterkühltem Wasser. Dies ist selten, denn normalerweise sind alle Wolken hier Eiswolken. Überhaupt sind die Wolken am Pol sehr niedrig im Vergleich zu Regionen der mittleren Breiten. Das liegt daran, dass der Pol einerseits schon recht hoch gelegen ist, andererseits die Atmosphäre wegen der tiefen Temperaturen auch stark komprimiert ist. Zirruswolken treten hier typischerweise in 1000 bis 2000 Metern über dem Boden auf.

Der Südpol ist ein sehr kalter Ort, aber nicht der kälteste Ort auf der Erde. Die tiefste Temperatur, die hier gemessen wurde, ist -82°C. Und da wir gerade bei Rekorden sind: die wärmste jemals gemessene Temperatur liegt bei -12°C. In den Sommermonaten November bis Februar ist es typischerweise nicht kälter als -50°C. Sobald Mitte März die Sonne untergeht, wird es rapide kälter. Es gibt hier keinen Ozean in der Nähe, der die Wärme speichern könnte, und der meist wolkenlose Himmel und die dünne Luft begünstigen die thermische Abstrahlung in den Weltraum. Somit gibt es hier im Grunde nur zwei Jahreszeiten, Sommer und Winter, und der Übergangszeitraum beschränkt sich auf wenige Tage.

Niederschlag gibt es so gut wie nicht und das innere der Antarktis ähnelt mehr einer Wüste. Zwar sammelt sich in der Umgebung der Station über die Zeit Schnee an, aber dieser stammt zum Großteil nicht von Schneeflocken, sondern von Eiskristallen, die vom Wind über die weiten Flächen geblasen werden. Auch gibt es nur ganz selten Stürme. Typisch sind dagegen katabatische Winde; das sind Fallwinde aus den noch höher gelegenen Gebieten des antarktischen Eisschildes. Die Luft kühlt dort ab, und weil kalte Luft schwerer ist, rutscht sie sozusagen den Hang des Eisschildes hinunter. Da wir am Pol relativ weit im Inneren der Antarktis sind, ist die Geschwindigkeit der Fallwinde mit 5-10 Knoten gering. An der Küste dagegen können die Fallwinde regelrechte Stürme verursachen.

Die Fallwinde sorgen auch dafür, dass der Wind relativ konstant aus Richtung Grid-Nord weht. Das ist wichtig für die hier durchgeführten klimatologischen Messungen der Luftzusammensetzung, denn die Abgasfahne der Station und alle sonstigen lokalen Luftverschmutzungen werden nach Grid-Süden abtransportiert. Das in Richtung Grid-Nord stehende Luftobservatorium misst daher extrem saubere und nahezu unberührte Luft. Um sicherzustellen, dass keine Verschmutzungen die Messungen verfälschen, ist von der Station aus gesehen der gesamte nördliche Sektor für Fahrzeuge und Flugzeuge bis in eine Entfernung von 150 km gesperrt. Das macht den Südpol für Luftmessungen zu einem einzigartigen Platz auf der Erde.