Das COLDEX-Team hat uns heute in ihr Flugzeug eingeladen und zeigt uns ihre Experimente. Diese interessieren mich natürlich, denn ich hatte vor ein paar Jahren auch schon ein Experiment auf einem Forschungsflugzeug. Im Gegensatz zu HALO, dem deutschen Flugzeug, ist die Basler des COLDEX-Teams geradezu antik. Das Flugzeug wurde als DC3 1948 gebaut. Zwar wurden später die Kolbenmotoren durch Turboprop-Triebwerke ersetzt und auch sonst viel modernisiert, viele Teile der Flugzeugzelle sind aber nach wie vor mehr als 75 Jahre alt.

Bild Basler Die Basler mit Instrumenten für die COLDEX-Kampagne

Die COLDEX-Wissenschaftler sondieren vom Flugzeug aus den antarktischen Eisschild auf der Suche nach geeigneten Orten für Eiskernbohrungen. Dazu sind neben zwei das Eis durchdringende Radarinstrumente auch ein Laser-Altimeter, ein Magnetometer und ein ehemals russisches Gravimeter an Bord. Das Laser-Altimeter misst sehr präzise den Abstand des Flugzeugs zur Eisoberfläche und man kann aus den Daten Höhenprofile der Antarktis erstellen. Das Magnetometer liefert Informationen über das Gestein unter dem Eis und das Gravimeter zeigt Massenkonzentrationen, die zum Beispiel von unter dem Eis gelegenen Bergen verursacht werden, an.

Bild Die Instrumente in der Kabine Die Instrumente in der Kabine der Basler

Im Cockpit überraschen mich die relativ kleinen Fenster. Aber die Piloten versichern mir, dass ihnen das keine Schwierigkeiten bereitet. Die Instrumente im Cockpit sind alle analog und es ist weit und breit kein Computerbildschirm in Sicht. Was für ein Unterschied zu den modernen Flugzeugen! Die einzige moderne Technik ist ein iPad, das in der Mitte zwischen den Fenstern klemmt und den aktuellen Kurs und den vor dem Flug am Computer geplanten Kurs anzeigt. Mit Hilfe des iPads fliegen die Piloten ein Raster über dem Eis ab und können nur mit manuellen Steuerimpulsen den geplanten Kurs mit einer Abweichung von weniger als 5 Metern einhalten.

Bild Die Instrumente in der Kabine Bernd im Cockpit der Basler

Nach der Besichtigung des Flugzeugs laufe ich in Richtung der Eispiste, auf der die Flugzeuge landen und starten. Ich brauche dringend Bewegung nachdem ich die letzten Tage die meiste Zeit vor dem Computer saß. Mein Ziel ist ein Flugzeug – eine LC130 – das vor ein paar Jahren bei einer harten Ladung gravierende Beschädigungen davongetragen hatte und anschließend aufgegeben wurde. Das Flugzeug steht am Ende der Eispiste und ist vermutlich zum großen Teil im Schnee versunken. Die Piste ist etwa 3 Kilometer lang, es ist also ein gutes Stück zu laufen.

Bild Blick zurück zur Station Blick zurück zur Station

Als ich fast das Ende erreiche, ziehen Wolken auf und die Sicht verschlechtert sich rapide. Wo noch vor ein paar Minuten blauer Himmel war, ist nun alles in einen grauen Schleier gehüllt. Ich bleibe stehen und schaue zurück, doch die Station am Horizont ist bereits verschwunden. Auch die schwarzen Fähnchen, welche die keine 100 Meter entfernte Landebahn markieren, verschwinden eins um das andere. Ich schätze die Sichtweite auf vielleicht 50 Meter und verspüre einen leichten Anflug von Panik bei dem Gedanken, dass ich kein GPS-Gerät dabeihabe. Lediglich das Funkgerät steckt in meiner Tasche. Ich trete unverzüglich den Rückweg an. Noch kann ich meine Fußspuren erkennen und ich strenge mich an, diese nicht zu verlieren. Ansonsten weiß ich bald nicht mehr, in welche Richtung ich laufe. Auf der Davis-Station hatte ich schon Whiteouts erlebt – eine sehr prägende Erfahrung, die man nicht so einfach beschreiben kann. Man verliert jegliche Orientierung und beginnt zu torkeln, da die Reize des Gleichgewichtssinns nicht mehr zu den visuellen Reizen passen. Das Gehirn erhält von den Augen einfach keine brauchbaren Informationen mehr. Wir Menschen haben gerne alles unter Kontrolle, und wenn uns plötzlich die Kontrolle genommen wird, verfallen wir in Panik. Dabei ist es eigentlich die irrationale Angst vor dem Kontrollverlust, die uns in Panik versetzt, und nicht die Tatsache an sich, dass wir keine Kontrolle mehr haben oder uns die Kontrolle entgleitet. Wenn etwas Schlimmes passiert, dann befürchten wir immer das nächstschlimmere Ereignis. Das ist ein sich selbstverstärkender Prozess, und man muss sich wirklich zusammenreißen, um diesen Kreis zu durchbrechen. Ich will nicht sagen, dass Angst schlecht ist. Angst hat durchaus einen Sinn, denn sie warnt uns vor Gefahren. Und gefährlich ist solch eine Situation potentiell immer. Aber man darf nicht zulassen, dass die Angst zu Panik führt und man beispielsweise einfach losrennt. Denn dann hat man nicht nur die Richtung verloren, sondern auch seinen Standort.

Ganz so schlimm ist es heute nicht. Ich weiß, dass ich etwa 3 Kilometer von der Station entfernt bin und kann meine Spuren und damit meinen Rückweg noch deutlich erkennen. Zudem habe ich das Funkgerät. Aber die vormals befreiende Weite, das Gefühl der Enge der Station entkommen zu sein, ist verflogen. Und ich ärgere mich darüber, dass ich mental nicht darauf vorbereitet war. Das hier ist die Antarktis und man muss mit plötzlichen Wetteränderungen jederzeit rechnen. Es war töricht anzunehmen, dass ich einen Spaziergang in der Sonne unternehmen würde. Die 11 Jahre seit meiner letzten Antarktisreise haben mich wichtige Lektionen vergessen lassen.

Bild Blick zurück zur Station Das Wetter beginnt sich zu verschlechtern und eine Wolkenfront rollt auf mich zu

Auf dem Weg zurück zähle ich in Gedanken meine Schritte, und als bei der richtigen Zahl das Radom der Satellitenempfangsstation vor mir auftaucht, ist jegliches Gefühl der Angst verflogen. Kurze Zeit später klart es wieder auf und die Station strahlt vor dem blauen Himmel. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich über deren Anblick so freuen würde. Der einzige bewohnte Ort in dieser Eiswüste.

Bild Bernd
Bernd zurück an der Station