Fehler gefunden
Heute ist das Wetter gut, aber nur im Umkreis von 60 km um unsere Station. Überall sonst scheint es bewölkt zu sein und alle für heute vom Pol geplanten Flüge sind abgesagt. Nur die Hercules aus McMurdo bringt eine Person und 8 Kisten mit Eiern. Nach der Eier-/Omelett-Schlange beim Frühstück nach zu urteilen, ist der Großteil der Stationsbewohner wie besessen von Eiern. Dementsprechend war das Bedauern groß, als vor ein paar Tagen das letzte Ei gebraten war. Jedenfalls kommt heute gegen Mittag die Durchsage über Lautsprecher, dass Freiwillige für den Transport der Eier in die Küche gesucht werden. Und keine drei Minuten später stehen 15 Leute vor der Rampe, um die Eier in Empfang zu nehmen.
Wir nutzen das gute Wetter für weitere Justagearbeiten an unserem Lidar. Am Samstag hatten wir bei Tests festgestellt, dass der Fokuspunkt des Teleskops sehr nahe am oberen Ende des Einstellbereichs liegt. Um den Fokuspunkt mehr in die Mitte des Einstellbereichs zu bekommen, entschlossen wir uns, die Spinne des Teleskops einen Millimeter höher zu setzen. Dazu mussten wir die Spinne abbauen, und da der letzte Laserspiegel auch auf der Spinne sitzt, ging dabei die Justage verloren. Wir mussten also ganz von vorne anfangen, das Teleskop und den Laserstrahl einzujustieren, was uns dann auch in Rekordzeit gelang. Wir machten im Anschluss eine Testmessung, doch die durchziehenden Wolken machen es uns unmöglich, den Fokus des Teleskops exakt zu bestimmen.
Christopher während der Justage des Teleskops
Am Sonntagvormittag sieht das Wetter etwas besser aus und wir unternehmen einen neuen Versuch. Jedoch geben wir nach einer guten Stunde auf. Die Wolken sind zwar weniger dicht als am Samstag, stören aber immer noch unsere Messungen. Doch bestätigt sich bei diesen „schlechten“ Messungen ein beunruhigender Verdacht: Selbst wenn man die Abschwächung des Laserstrahls beim Durchgang durch die Wolken großzügig abschätzt, sieht unser Lidarempfänger zu wenig Licht. Irgendwo in unserem System geht Licht verloren, und zwar eine ganze Menge. Wir vergleichen die Werte mit Messungen von unsern anderen Lidarsystem, aber die Rechnung ist nicht so ganz einfach. Am Pol sind wir fast 3 Kilometer höher, die Effizienz des Empfängers ist anders, wir benutzen eine andere Lichtwellenlänge, und und und. Nach kurzem Nachdenken sagt Christopher, dass wir dreimal mehr Licht messen sollten als wir es tatsächlich tun. Ich habe keine Ahnung, wie er das so schnell im Kopf ausrechnen konnte, aber ich glaube ihm. Ich kann zwar nicht schnell rechnen, aber mein Gefühl sagt dasselbe. Für weitere Tests müssen wir jedoch auf besseres Wetter warten.
Heute ist es endlich soweit, strahlend blaue Himmel und keine Wolke in Sicht. Christopher steigt auf das Dach und öffnet die Luke über dem Teleskop während ich das System starte und aufwärmen lasse. Und tatsächlich, der Untergrund von der Sonne in unseren Messungen ist so niedrig wie noch nie – und stabil! Wir können das Teleskop präzise fokussieren und machen anschließend Scans mit dem Laserstrahl, wobei sich das Problem nun zeigt. Der Strahl ist viel zu breit und sieht zermatscht aus. Damit ist auch klar, warum wir Licht verlieren, denn der Fleck am Himmel, den der Laserstrahl erzeugt, ist einfach viel zu groß für das Sichtfeld unseres Teleskops. Während wir noch darüber grübeln, ob vielleicht die Optik im Laser beschädigt ist, schicke ich ein Kommando um eine Linse im Laser zu bewegen. Und siehe da, das Signal des Lidars steigt – das bedeutet, der Lichtfleck wird kleiner! Offensichtlich hatten wir bei der Einstellung der Divergenz des Laserstrahls letzte Woche einen Fehler gemacht. Jetzt könnte ich das natürlich auf die Wolken schieben, aber ich hatte die Divergenz mehrfach überprüft und ein derartiger Fehler hätte mir auffallen müssen. Es bleibt mir ein Rätsel.
Wir bewegen die Linse weiter und das Signal steigt weiter an. Zwischendurch fokussieren wir das Teleskop erneut, denn mit einem kleineren Laserstrahl verschiebt sich nun auch der Fokuspunkt. Wir hätten die Teleskopspinne gar nicht höher setzen müssen! Als schließlich das Empfangssignal etwa dreimal so groß ist wie zu Beginn, erreichen wir das Plateau. Christophers Vorhersage war absolut korrekt!
Für die Lidarexperten unter den Lesern: Später schreibe ich ein Programm, welches ähnlich einem Lock-in-Verstärker arbeitet, um die Laserdivergenz exakt auf das Minimum einstellen zu können. Die Modulationsgröße ist hierbei die Linsenposition und das Lidarempfangssignal das Trägersignal. Durch phasenstabiles Mischen des Lidarempfangssignals mit dem Modulationssignals (der Linsenposition) gelingt es uns, eine Signaländerung aufgrund der Modulation der Divergenz des Laserstrahls in der Größenordnung von 1 Prozent bei einer Integrationszeit von 3 Minuten zu detektieren.
Nachdem wir hoffentlich alle Fehler beseitigt und die Divergenz des Laserstrahls korrekt eingestellt haben, sehen die Messdaten des Lidars schon viel besser aus. Trotz des OD3-Filters im Empfänger, das bedeutet eine Abschwächung des Empfangssignals um einen Faktor 1000, reichen die Messungen nun bis über 40 Kilometer Höhe. Erst dann verschwindet das Empfangssignal im Rauschen. Ich lasse die Messung noch eine Weile weiterlaufen, vielleicht detektieren wir ja NLC!
Die Profile mit den detektierten Lichtteilchen reichen nun bis in 40 Kilometer Höhe
NLC steht für „Leuchtende Nachtwolken“. Hierbei handelt es sich um Eiswolken, welche im Sommer in den Polargebieten in 83 Kilometern Höhe entstehen können. NLC sind mit Abstand die höchsten Wolken in unserer Erdatmosphäre. Allerdings sind sie auch sehr dünn und mit dem Auge nur zu erkennen, wenn die Wolken noch von der Sonne angestrahlt werden, der Beobachter am Boden sich jedoch schon im Erdschatten befindet. Das ist etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang und eine Stunde vor Sonnenaufgang der Fall. Nachdem allerdings hier am Pol die Sonne nicht untergeht, können wir NLC mit den Augen nicht sehen. Aber unser Lidar könnte sie vielleicht messen! Mit dem Abschwächer im Empfänger sind wir jedoch gerade so an der Auflösungsgrenze. Für die Lidarexperten: Wir hätten doch ein Etalon einbauen sollen.
Zufrieden mit der Ausbeute des Tages gehen wir zum Abendessen.