Der Wecker klingelt wieder um 1 Uhr und noch etwas schlaftrunken mache ich mich auf den Weg zum Labor. Natalie und ich haben uns auf dem Server in Deutschland verabredet. Seit wir uns kennen nutzen wir „talk“, ein uraltes Text-basiertes Chatprogramm aus der UNIX-Welt. Ich bin froh, dass ich noch in der DOS/Unix- und später in der Linux-Welt aufgewachsen bin und gelernt habe mit einem Computer zu interagieren ohne auf irgendwelche bunten Buttons klicken zu müssen. Oder noch schlimmer: der Touch-Bildschirm eines Handys. Eine Text-Konsole und eine vernünftige Tastatur ist alles, was man braucht.

Natalie ist schon da als ich mich auf dem Server über SSH einlogge. Wir besprechen die Änderungen an dem Labview-Code. Verkompliziert wird das etwas dadurch, dass Natalies Version auf meinem Laptop in Deutschland wohl nicht ganz identisch ist mit der Version, die ich im Juli in die Lidar-Elektronik einspielte. Ein kleiner Teil scheint zu fehlen, aber mein Gedächtnis lässt mich im Stich. Natalie muss mir erst Screenshots des Labview-Codes schicken, dann kann ich ihr beschreiben, wo sie welchen Klotz in das Labview-Diagramm einfügen soll. Wer Labview nicht kennt, der kann nur schwer nachvollziehen, wie schwierig solche Beschreibungen sein können, wenn man nicht selbst vor dem Rechner sitzt. Man versucht sprichwörtlich mit Worten Bilder zu beschreiben. Bei einer „normalen“ Text-basierten Programmiersprache hätten wir das in ein paar Minuten geklärt, aber mit den Labview-Klötzchen zieht sich das zwei Stunden hin. Dann ist es geschafft und Natalie legt die Dateien mit dem übersetzten Labview-Code auf dem Server ab. Ich lade die Dateien runter und danach in die Lidar-Elektronik. Dann schnell ein Test der Elektronik und zu unserer Erleichterung funktioniert nun alles. Geschafft. Guter Dinge gehe ich zurück ins Bett, stelle den Wecker sicherheitshalber vorher noch auf 10 Uhr.

Als ich aufstehe wird gerade die LC130 auf dem Vorfeld startbereit gemacht. Mit großen mobilen Heizgeräten, die heiße Luft in Schläuche blasen, versucht die Crew die Triebwerke aufzuwärmen. Mit der Rückkehr des Flugzeugs nach McMurdo werden uns 15 Personen verlassen. Die Sommerkampagne geht nun endgültig mit großen Schritten zu Ende. Die Basler der COLDEX-Leute ist schon auf dem Weg nach Norden und die zweite Basler wird in wenigen Tagen folgen. Auch für Christopher und mich hat bereits die letzte Woche hier am Pol begonnen.

Bild Hercules Mobile Heizungen wärmen die Triebwerke der LC130 Hercules vor dem Start

Noch müssen die 15 Kollegen auf den Abflug der LC130 warten, denn der Crew gelingt zunächst nur der Start von drei der vier Triebwerke. Mit einer Stunde Verzögerung ist es jedoch dann soweit und die LC130 hebt ab.

Christopher und ich, wir beschäftigen uns wieder mit unserem Lidar während keine 5 Meter im Labor entfernt Yucheng und Dominique das AMTM-Instrument demontieren um ein Filterrad zu tauschen. Mit dem nun kälteren Teleskop und CONSCAN können wir nun sehr präzise das Teleskop fokussieren und den Strahlaufweiter im Laser einstellen. Für die Lidarexperten: wir sehen in beiden Fällen bei den Fokus-Scans eine schöne Parabelkurve. Die Software rechnet für uns das Minimum aus und wir stellen die Aktuatoren dorthin. Damit ist die Justage des Lidars geschafft. Zu denken gibt uns jedoch das Strahlprofil des Lasers. Statt einem schönen runden Fleck sehen wir mal zwei getrennte Flecken und mal ein Herz. Möglicherweise ist das der Grund, weshalb CONSCAN nicht so gut funktioniert.

Bild Dominique
Dominique klebt einen Dom aus Glas auf die Halterung einer Kamera

Bild Teleskop Unser Teleskop vom Dach des Gebäudes aus gesehen

Ich verwende die nächsten Stunden darauf, die CONSCAN-Parameter besser einzustellen. Nach einigem Rumprobieren komme ich zu der Erkenntnis, dass das blinde Ändern von Parametern nicht sehr erfolgversprechend ist. Ich benötige dringend eine bessere Diagnostik. Also beginne ich damit, ein Programm zu schreiben, welches mir das Fehlersignal anzeigt. Die Idee hinter CONSCAN (CONSCAN steht für „Conical Scan“ und ist eine Technik, die vor vielen Jahren für Radarsysteme entwickelt wurde) ist recht simpel. Mit Hilfe des beweglichen Spiegels im Laser lassen wir den Laserstrahl auf einem Konus um das Sichtfeld des Teleskops kreisen. Liegt der Konus auf der optischen Achse des Teleskops, so ist das Lidarempfangssignal immer gleich. Gibt es jedoch eine Fehlausrichtung, dann taucht der Laserstrahl mal weiter in das Sichtfeld des Teleskops ein und mal ist er weiter entfern. Die Stärke des Lidarempfangssignals ändert sich damit periodisch, d.h. die konische Bewegung des Laserstrahls moduliert das Empfangssignal. Mit etwas Mathematik kann man das Empfangssignal demodulieren und daraus dann ein Fehlersignal bestimmen, das anzeigt, in welche Richtung der Laserstrahl bewegt werden muss, damit er mit der optischen Achse des Teleskops übereinstimmt. Das Fehlersignal koppeln wir zurück auf die Modulation des Laserstrahls, so dass im Idealfall der Laserstrahl immer nahezu perfekt auf das Teleskop ausgerichtet bleibt.

Das Anzeigeprogramm habe ich bald fertig, aber es bekommt von CONSCAN keine Daten. Irgendwo gehen die Daten auf dem Weg von COSCAN zum Anzeigeprogramm verloren, was für mich absolut keinen Sinn ergibt. Solche Probleme hatte ich noch nie. Erst viel zu spät fällt mir auf, dass ich das Anzeigeprogramm nicht mit CONSCAN direkt, sondern mit der Datenerfassungssoftware des Lidars verbunden habe. Jetzt ist es wirklich Zeit für eine Pause, das war eine anstrengende Woche. Außerdem ist Samstagabend.

Auf der Station wird normalerweise sechs Tage die Woche gearbeitet und nur der Sonntag ist frei. Bei typischerweise 10 Stunden pro Tag kann das ganz schön anstrengend werden und der Samstagabend ist dazu da, von der Arbeit wieder „runterzukommen“. Meist wird eine Party veranstaltet und es fließt viel Alkohol. Die erste Hälfte des Sonntags dient dann zum Ausschlafen und die zweite zur Erholung. Das ist übrigens auf den meisten Stationen so, auch auf Davis haben wir sechs Tage die Woche gearbeitet.

Heute ist Karaoke in der Turnhalle. Es ist eine Bühne aufgebaut und in der Halle stehen Sofas. Christian, der Netzwerk-Techniker, betätigt sich als DJ und bedient die Tonanlage. An der Rückseite der Turnhalle wird auf einer riesigen Wand der Text mit Hilfe eines Beamers angezeigt, so dass jeder mitsingen kann. Irgendwann ist jeder einmal dran, ob einzeln oder in der Gruppe. Ob man singen kann oder nicht spielt dabei keine Rolle, es wird immer geklatscht und es herrscht eine gute Stimmung. Die Amerikaner wünschen sich 99 Luftballons. Offensichtlich war die englische Version ein großer Hit in den USA, was mir entgangen ist. Jetzt wollen sie das Original in deutscher Sprache hören. Wir sind 2,5 Deutsche, dazu noch ein Amerikaner, der einmal als Austauschschüler in Berlin ein paar Brocken Deutsch gelernt hat. Es ist bestimmt keine musikalische Glanzleistung, was wir von uns geben, aber das Publikum klatscht und hat eine gute Zeit – das ist die Hauptsache. Für ein paar Stunden ist die Arbeit und die Kälte da draußen vergessen. Es gibt auch ein paar talentierte Sängerrinnen und Sänger. Und was schön ist: Wissenschaftler und Stationsbesatzung mischen sich. Bei der Arbeit und in der Kantine bleiben diese beiden Gruppen sonst meist unter sich. Paul, ein in Neuseeland lebende Engländer und Vermessungstechniker mit einem Studium in Musik singt mit viel Hingabe Piano Man. Er wohnt in Alexandra in Central Otago. Ich schreibe dies, weil Natalie und ich vor ein paar Jahren für einige Wochen in Lauder lebten, einem winzigen Dorf 30 Minuten von Alexandra entfernt. Wir sind einmal in der Woche nach Alexandria zum Einkaufen gefahren – wie klein die Welt doch manchmal ist.

Später singt Christopher noch Elvis und dann ist der Abend auch schon wieder vorbei. Das Satellitenzeitfenster ist gerade aufgegangen und ich schaue auf dem Rückweg zu meinem Zimmer im Labor vorbei. Keine neuen Mails – es ist sehr früher Sonntagmorgen oder noch Samstag in Deutschland.