Colin, der technische Leiter der Station, nimmt uns heute mit unter die Oberfläche. Das Eis im Umfeld der Station ist durchzogen von Tunneln und Versorgungsschächten, die wir heute erkunden wollen. Wir starten unsere Tour in der „Bierdose“ am Westende der Station, einem runden Treppenhaus über das wir ca. 10 Meter unter die Eisoberfläche gelangen. Von hier aus führt ein großer Versorgungsschacht zu den „Arches“, das sind große halbrunde stählerne Röhren im Eis. In diesen Röhren sind das Kraftwerk der Station, das Treibstofflager, eine Fahrzeughalle und ein riesiges Lager mit gefrorenen Lebensmitteln untergebracht.

Bild Versorgungsschacht Der Versorgungsschacht führt ca. 10 Meter unter der Oberfläche von der Station zu den Arches. An den Wänden sind in dicken isolierten Stahlröhren Glycol-, Wasser- und Abwasserleitungen verlegt.

Im Kraftwerk stehen drei Dieselgeneratoren mit je 650 Kilowatt elektrischer Leistung und ein vierter etwas kleinerer Generator. Im Grundlastbetrieb wird einer der großen Generatoren für die Versorgung der Station und der wissenschaftlichen Experimente benötigt, ein weiterer Generator wird in Bereitschaft gehalten und der dritte Generator ist entweder auch in Bereitschaft oder in Wartung. Der kleine Generator puffert Leistungsspitzen. Zu der elektrischen Leistung kommt noch einmal dieselbe Leistung als Abwärme der Dieselmotoren hinzu. Diese Abwärme wird über Glykolleitungen zur Station transportiert und dort zum Heizen benutzt. Pro Stunde verbraucht einer der großen Generatoren etwa 180 Liter Treibstoff, der zunächst per Tankschiff nach McMurdo und von dort aus entweder in großen Tanks per Schlittenzug über Land oder per Flugzeug zur Stüdpolstation gebracht wird.

Vom Versorgungsschacht aus gelangen wir über einen kleinen Einstieg in die Eistunnel, das sind rechteckige in Handarbeit in das Eis getriebene Gänge. Über drei Jahre hinweg wurden mit Kettensägen Stück für Stück Eisblöcke mit einer Kantenlänge von ca. 30 Zentimetern herausgesägt und abtransportiert. Bei einer Temperatur von ungefähr -55°C war das ein entsprechend wirklich mühsames Unterfangen. Die Tunnel sind insgesamt fast einen halben Kilometer lang und führen zu den Schmelzbrunnen für die Trinkwassergewinnung und Abwasserentsorgung. Die Brunnen sind 120 Meter tiefe Bohrlöcher im Eis, in die von den Generatoren erwärmtes Wasser gepumpt wird. Das warme Wasser schmilzt allmählich das Eis, kühlt dabei ab, wird hochgepumpt, wieder erwärmt und schließlich wieder in die Quelle gefördert. Nur ein kleiner Teil wird als Trinkwasser für die Station verwendet. Dennoch entsteht durch das fehlende Volumen mit der Zeit eine Kaverne von gut 10 Metern Durchmesser. Sinkt der Wasserspiegel bis auf den Boden des ehemaligen Bohrlochs ab, wo sich die Förderpumpe befindet, ist die Wassergewinnung zu Ende und es muss ein Stück weiter eine neue Bohrung erbracht und eine Kaverne aufgeschmolzen werden, was etwa 3 Jahre dauert. Die Nutzungsdauer einer solchen Quelle liegt bei etwa 10 Jahren. In die leeren Kavernen wird das ungeklärte Abwasser der Station geleitet. Eine Kläranlage gibt es hier nicht.

Bild Eingang zu den Eistunnel
Der Eingang zu den Eistunneln

Wir zwängen uns durch den Einstieg und gelangen so in den ersten Eistunnel. Mit jedem Schritt wird es kälter, denn die Tunnel sind nicht geheizt und behalten über das Jahr hinweg eine konstante Temperatur. Auf den ersten 100 Metern befinden sich eine ganze Reihe von Schreinen in Aushöhlungen in der Wand. Überwinterer sind eine seltsame Spezies – ich will nicht sagen abergläubisch, aber doch sehr mit ihrem Schicksal verbunden. Wichtige Ereignisse, für „normale“ Menschen vielleicht unverständlich, werden hier durch kleine Kunstwerke, Bilder oder sonstige Objekte festgehalten. Das können einerseits profane Dinge wie die letzte Dose mit Eiscreme eines Winters sein, andererseits befinden sich hier auch Bilder mit Familienmitgliedern und Angehörigen von Überwinterern, die während der Zeit am Pol verstarben. Wie die meisten Antarktisstationen ist die Südpolstation über einen Zeitraum von 6 Monaten im Winter komplett isoliert, d.h. es gibt keine Möglichkeit für die Stationsbewohner nach Hause zu kommen, auch nicht in Notfällen wie beispielsweise der Erkrankung von Familienangehörigen. Das ist natürlich jedem hier vor der Anreise bewusst, macht es aber im Fall der Fälle nicht leichter. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass bei einer Überwinterung die Angst, dass etwas zu Hause passiert und man nicht nach Hause kommt, ein ständiger Begleiter ist. Sie tritt nicht immer in den Vordergrund, aber unbewusst ist sie immer da. Deshalb sind Nachrichten von zu Hause so wichtig, auch wenn es sich nur um ganz alltägliche Dinge handelt. Ich vergleiche das gerne mit Astronauten auf der Raumstation. Diese bekommen sehr viel Unterstützung in allen Bereichen und in Notfällen können sie innerhalb weniger Stunden zur Erde zurückkehren. Überwinterer in der Antarktis haben diese Möglichkeit nicht und werden dennoch oft allein gelassen.

Auch für Perry, Bob und Mike gibt es einen Schrein mit drei vollen Gläsern und Flaschen ihrer Lieblingsgetränke dahinter. Ich hatte Perry und Bob auf Davis kennengelernt. Sie waren die ersten Menschen, die uns nach dem langen Winter erreichten. Vor ein paar Jahren dann stürzten sie mit einer Twin Otter auf dem Weg nach Terra Nova Bay ab. Es war ihr letzter Flug in der Antarktis vor der geplanten Rückkehr nach Kanada gewesen.

Bild Eistunnel
Im vorderen Bereich der Tunnel sind Schreine in die Wände eingesetzt

An einer Kreuzung befindet sich eine gravimetrische Referenzstation. Hier wird die Schwerebeschleunigung der Erde (die „Anziehungskraft“) sehr exakt gemessen. Die Messwerte dienen beispielsweise als Referenz für die Kalibrierung des Gravimeters, das auf der Basler geflogen ist. Wir biegen ab und gelangen in einen weiteren Eistunnel. In den dicken isolierten Stahlröhren an der Wand fließt oben das Wasser zu und von der Quelle und unten das Abwasser. Um auf Pumpen verzichten zu können, ist der Tunnel Richtung Quellen nach unten geneigt. Wir gelangen also immer tiefer in das Eis hinein und am Ende befinden sich mehr als 20 Meter Eis über uns.

Bild Teleskop An diesem Ort werden gut geschützt von äußeren Einflüssen gravimetrische Referenzmessungen durchgeführt

Bild Teleskop Der Eistunnel zu den Wasserbrunnen

Das Eis ist immer etwas in Bewegung und das führt dazu, dass die Wände und Decken der Tunnel mit der Zeit schief werden und sich die Rohre verbiegen. Manchmal sind die Belastungen so groß, dass die Rohre platzen. Aus diesem Grund kommt jeden Tag jemand zur Kontrolle hier runter und läuft das gesamte Rohrleitungsnetz ab. Wir passieren vorbereitete Seitentunnel für zukünftige Quellen und erreichen schließlich das Ende des Haupttunnels. Hier herrscht eine Temperatur von fast -60°C und der gefrierende Atem erzeugt filigrane Strukturen aus Eis an der Decke, die wie Zuckerwatte aussehen und sehr weich sind. Dieses Eis steht ganz im Gegensatz zu dem Eis, aus dem die Tunnel herausgeschnitten sind. Das ist hart wie Stein.

Bild Teleskop
Der gefrierende Atem erzeugt filigrane Strukturen aus Eis an der Decke der Tunnel

Allmählich kriecht die Kälte durch unsere dicken Kleidungsschichten und wir kehren schnellen Schrittes zurück in den etwas wärmeren Versorgungsschacht. Das gesamte unterirdische Rohleitungsnetz ist für den Betrieb der Station für die nächsten 50+ Jahre ausgelegt. Nicht nur überirdisch sondern auch im Eis wird ein enormer Aufwand betrieben, um der Stationsbesatzung das Leben und Arbeiten in dieser unwirtlichen Gegend der Erde zu ermöglichen.