Rückflug nach McMurdo
In McMurdo hatte ich keinen Zugang zum Internet, daher erscheinen
die drei folgenden Artikel nun zusammen und drei Tage verspätet.
Nach genau vier Wochen auf der Station treten wir heute den Rückflug an – sofern das Wetter mitspielt. Zwei Hercules sind für heute angekündigt, für 13 Uhr und für 14 Uhr. Wir sollen mit dem ersten Flugzeug mitfliegen, das zweite ist nur für den Treibstofftransport.
Nach dem Frühstück gehe ich nochmals ins Labor, um die Messdaten vom Lidar-Computer auf meinen Latop zu kopieren. Nachdem auch dieser letzte Schritt erledigt ist, werfe ich noch einmal einen Blick auf das Lidar, das Rack, den Laser und die Lidar-Box, und mache dann das Licht aus. Wir werden das Instrument erst in gut zwei Monaten, wenn die Sonne untergegangen ist, wirklich in Betrieb nehmen können. Bis dahin wird es erst einmal ausgeschaltet bleiben.
Ich gehe zurück in mein Zimmer und packe mein Handgepäck und die Extremwetterkleindung zusammen. Dann geht es ans Putzen des Zimmers. Es kommt die Durchsage per Funk über den Start der ersten Hercules in McMurdo. Das scheint ein guter Tag zu werden, aber ich traue der Sache noch nicht ganz und ziehe mein Bett noch nicht ab. Es ist noch eine Stunde bis zum Mittagessen und ich weiß nicht so recht was tun. Alles ist soweit für die Abreise vorbereitet. Ich könnte in meinem Zimmer bleiben und mein Buch weiterlesen, aber ich entscheide mich dafür, ziellos durch die Station zu laufen. In den Fluren im Eingangsbereich hängen Bilder und Artefakte aus der Zeit der ersten und zweiten Station. Diverse medizinische und meteorlogische Geräte, ein uraltes Funkgerät, eine Cola-Dose aus den 50ern, diverse alte Postkarten und Briefe, das Buch mit den Bauplänen für den Dom der zweiten Station, eine Aluminiumplatte vom Dom, und so weiter. Ein Stück weiter befinden sich in Glasvitrinen die Polmarkierungen der vergangenen Jahre. Jedes Jahr wird ein neues künstlerisches Objekt von ca. 20 cm Größe entworfen, welches dann für die nächsten 12 Monate auf den Stab mit der Polmarkierung gesteckt wird. Meistens ist das auf irgendeine Weise eine Darstellung der Antarktis, der Erdkugel oder des Himmels. Während ich die Objekte betrachte, kommt die Durchsage, dass die Hercules den ersten Punkt passiert hat. Alles scheint heute gut zu laufen.
Ich gehe nach oben in den zweiten Stock zu den Bildern aus der Anfangszeit. Es sind ein paar Luftaufnahmen der zweiten Station dabei, als der Dom und die Röhren noch nicht vollkommen von Schnee bedeckt waren. Dann auf dem nächsten Poster ein Vergleich zwischen früher und heute: Speisesaal, Klinik, Zimmer, Toiletten, Operationszentrale, Kraftwerk. Wie einfach wir es doch heute haben. Wenn man bedenkt, dass alles, Stühle, Tische, Geschirr, Betten, Toilettenschüsseln usw. um die halbe Welt hergeflogen werden musste, dann ist das mittlerweile purer Luxus hier.
Weiter an der Wand entlang kommen die Portraits der auf der Station ums Leben gekommenen Männer. Zwischen Labor und Klinik hängen schließlich die Gruppenbilder der Überwinterer. Waren es in den ersten Jahren um die 10 Personen, so überwintern heute durchschnittlich 40-50 Personen auf der Station. Es sind nur wenige Wissenschaftler darunter; die meisten Leute werden für den Betrieb der großen Station und der Instandhaltung der Technik benötigt. In den ersten Jahren waren auch die Hunde mit auf dem Gruppenbild.
Schließlich wird es Zeit für das Mittagessen und ich ziehe meine Bettwäsche ab und bringe sie zur Wäscherei. Das Flugzeug hat bereits mehr als die Hälfte der Strecke geschafft und wird nun wohl bei dem guten Wetter draußen kaum noch umkehren. In der Kantine treffe ich die Piloten der Twin Otter und wenig später setzt sich auch Kyle zu uns. Er sieht aufgelöst aus, also ist es doch passiert. Seit ein paar Tagen hält sich das Gerücht, dass ihm gekündigt wurde. Klar, er hat einen Fehler gemacht und gegen den Verhaltenskodex verstoßen, aber dass die gesamte Station Bescheid weiß und er als letzter von seiner Kündigung und vorzeitigen Abreise erfährt, das ist schon sehr seltsam und für mich unverständlich. Das amerikanische System eben. Die Kündigung auf den Tisch und keine zwei Stunden später wird man in das Flugzeug nach Hause gesetzt.
Als ich gerade beim Nachtisch bin, einem Stück Kuchen mit viel zu viel Zucker drin, kommt die Meldung der Landung der Hercules. Ich verabschiede mich von den Piloten und gehe mich umziehen. Auch für den kurzen Weg zum Flugzeug brauchen wir die ganze Antarktiskleidung. Dann geht es runter zum Ausgang. Viele der Stationsbewohner haben sich dort bereits eingefunden, um uns zu verabschieden und uns eine gute Reise zu wünschen. Mit 16 Personen sind wir bisher die größte Gruppe, die die Station verlässt.
Wir werden von den Stationsbewohnern verabschiedet. Im Vordergrund sind Yucheng und Dominique.
Dann geht es raus zum Flugzeug. Wir müssen noch einen Moment warten bis die Fracht, unser Gepäck, eingeladen ist, dann dürfen wir an Bord. Es wird nicht viel Aufhebens gemacht, jeder sucht sich einen Platz und dann rutschen wir auf den Skiern auch schon los. Dies ist nun mein dritter Flug in einer Hecules und alles an Bord - die Geräusche und das Vibrieren der Triebwerke, die schummrige Beleuchtung - ist schon recht vertraut. Ich versuche es mir auf dem Sitz aus Gurten bequem zu machen und döse vor mich hin. Viel zu sehen gibt es nicht, da wir über eine fast geschlossene Wolkendecke fliegen.
Unser Flugzeug für den Rückflug steht bereit
Bergspitzen durchbrechen das antarktische Eisschild
Etwa eine Stunde vor der Landung geraten wir in Turbulenzen und mir wird schlecht. Zudem spielt die Heizung verrückt und bläst heiße Luft auf mich, so dass ich innerhalb von ein paar Minuten vollkommen durchgeschwitzt bin. Die heiße Luft von oben, die Kälte der unisolierten Flugzeugwand keine 10 Zentimeter hinter mir, das Schütteln des Flugzeugs, meine vom Schwitzen nasse Thermounterwäsche – mein Kreislauf denkt gerade daran aufzugeben und ich sehe vermutlich so blass aus wie eine Leiche. Zu meinem Glück sitzt unsere Krankenschwester auf der anderen Seite hinter dem Taschenstapel und kann mich nicht sehen. Ich lehne mich soweit wie möglich zurück und versuche die Beine auf meiner Tasche hochzulegen und hoffe, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Das ist wieder typisch bei mir. Normalerweise werden die Leute ohnmächtig auf dem Weg zum Pol, nur bei mir sackt der Kreislauf weg, wenn es nach unten zum Meer geht. An dem Tag vor meiner Abreise auf die Davis-Station hatte ich schon einmal eine Glanzleistung vollbracht und lag vor dem Chefmediziner der australischen Antarktisbehörde mit einem Kreislaufkollaps auf dem Boden. Diesmal komme ich etwas glimpflicher davon und zähle im Geist die Minuten. Eigentlich müssten wir schon längst unten sein, aber unsere Pilotin kann sich offensichtlich nicht entscheiden und fliegt zunächst über den Flugplatz hinweg, um dann in einer weiten Kurve umzudrehen und einen neuen Anflug durchzuführen. Ich wage meinen Kopf nicht zu drehen und sehe an der Decke nur die Reflexe von Sonnenstrahlen, die durch die kleinen Fenster ins Innere gelangen. Bei jeder Kurve wandern sie von der einen auf die andere Seite, und ich denke mir, wenn das noch lange so weiter geht, müssen sie mich doch noch aus dem Flugzeug raustragen. Irgendwann macht es einen kleinen Ruck und wir setzen auf. Ich überlege noch, ob ich die Besatzung bitten soll, dass ich noch ein paar Minuten in meiner Misere hier liegen bleiben darf, aber mir wird furchtbar kalt und ich muss meine Jacke anziehen. Das Flugzeug hat mittlerweile seine Parkposition erreicht und bewegt sich nicht mehr. So plötzlich die Übelkeit angefangen hat, so plötzlich ist sie nun auch wieder vorbei und ich steige mit den anderen aus. Unser Fahrer, der uns nach McMurdo bringen soll, wartet bereits mit einem altertümlichen Gefährt auf uns. Beim Einsteigen hoffe ich innig, dass mir nicht wieder schlecht wird. Aber das Gefährt hat einigermaßen große Fenster und alles wird gut.
Der LKW/Bus bringt uns nach McMurdo
Nach eine Stunde Fahrt erreichen wir McMurdo und werden vor Gebäude 155, das ist das große blaue Wohn- und Kantinengebäude, abgesetzt. McMurdo erscheint mir nicht so schlimm wie bei meiner ersten Ankunft vor vier Wochen, aber groß begeistert bin ich trotzdem nicht. An der Türe der Zimmerverwaltung steht, dass heute 1001 Personen in der Stadt sind. Ich habe Glück und bin mit drei Bauarbeiten auf einem Zimmer (in McMurdo werden einige Gebäude dieses und in den kommenden Jahren erneuert). Christopher und Yucheng dagegen sind in Zimmern mit Tagschläfern (Nachtarbeiter) und müssen warten. Ich verstehe nicht, warum nicht die Tagschläfer in ein Zimmer zusammengelegt werden. Auf meine Nachfrage erhalte ich nur Schulterzucken: „Das ist die Art, nach der die Regierung arbeitet“. Einmal mehr wird mir bewusst, dass das eine staatliche Einrichtung ist. Man braucht Beziehungen, um in ein besseres Zimmer zu kommen.
Auf dem Bildschirm vor der Kantine sehe ich die Ankündigung für unseren Flug ACH-015 nach Christchurch am Montag. Diesmal scheint ausnahmsweise mal alles nach Plan zu laufen. „Bag Drag“, das wiegen von Gepäck und Personen, findet morgen um 19:30 Uhr statt. Wir können nach dem Essen unser Gepäck vom Südpol in Gebäude 140 abholen. Für mich macht das jedoch nicht viel Sinn und ich lasse es gleich für morgen dort. Ich versuche noch Emails zu lesen, kann mich jedoch nicht an den Computern einloggen und nach einer halben Stunde gebe ich auf. Vermutlich ist mein Account noch nicht vom Südpol nach McMurdo transferiert worden und der Satellit ist schon wieder weg. Ich gehe auf mein Zimmer und falle müde ins Bett.