Heute ist unser letzter Tag auf der Station - sofern morgen alles nach Plan läuft und uns eine Hercules auf dem Rückweg nach McMurdo mitnimmt. Aber erstmal muss es ein Flugzeug hierherschaffen. Es sind wieder vier Flüge für heute geplant, aber ich bin skeptisch gegeben die Erfolgsquote der letzten Tage. Zwölf Hercules hätten diese Wochen Treibstoff zum Pol fliegen sollen und angekommen sind bisher zwei.

Der Wecker klingelt um 5 Uhr. Ich schalte ihn jedoch aus und bleibe liegen; es gibt keinen Grund früh aufzustehen. Das Lidar ist fertig und das DSCS-Satellitenfenster fällt heute wegen Wartungsarbeiten aus. Als ich wieder aufwache, ist es bereits 10 Uhr und mir fällt auf, wie müde ich die letzten Tage war. Die Anspannung, die mich sonst wachhält, ist weg. Es ist wie immer auf Kampagne. Die viele Arbeit über Jahre hinweg auf ein Ziel zu bestimmt fast alles, und wenn dann das Ziel erreicht ist, fällt man erst einmal in ein emotionales Loch. Die Arbeit, die alles andere verdrängt hat, tritt auf einen Schlag in den Hintergrund. Die einzige Aufgabe heute: Taschen packen. Um 13 Uhr ist „Bag Drag“, das bedeutet die gepackten Taschen nach unten schaffen und wiegen. Die Daten werden für die Ladeliste des Flugzeugs morgen benötigt. Wir bekommen nur unser Handgepäck und unsere Extremwetterkleidung wieder, das große Gepäck wird bereits auf Flugzeugpaletten verzurrt.

Nachdem dieser Punkt erledigt ist, begeben Christopher und ich uns auf Erkundungstour in die „Arches“ der Station. Das sind lange Metallröhren im Eis, genauer gesagt sind es Halbbögen anstatt eines kreisrunden Querschnitts, die als unterirdischer Lagerplatz dienen. Die Röhren sind aus den 70er Jahren und stammen noch von der alten Station. Der große Dom ist mittlerweile abgebaut, aber die Röhren sind noch übrig und werden weiterhin genutzt.

Eine Rampe aus Schnee führt zu den großen Eingangstoren der Röhren hinab. Es gibt drei parallele Röhren, wobei sich in der linken Einheit das Kraftwerk der Station befindet. Wir laufen durch eines der großen Tore und gelangen in den ersten Teil, der Fahrzeugwerkstatt. In der Röhre aus dickem, mit Sicken verstärktem verzinktem Stahlblech befindet sich ein kleines beheiztes Haus oder vielmehr eine Art Garage. Hier werden die vielen Fahrzeuge der Station gewartet und repariert. Neben Bulldozern in verschiedenen Größen gibt es Pistenbullys, Autos mit Raupen anstatt Rädern, Skidoos, einen Kranwagen und jede Menge Stapler.

Bild Kisten Die großen Tore am Eingang zu den unterirdischen Röhren

Wir gehen durch einen kleinen vollkommen vereisten Seitentunnel in die mittlere Röhre hinüber und treffen auf ein großes Materiallager. Hier werden die Ersatzteile für alle möglichen Maschinen aufbewahrt, Kisten über Kisten. Ich kann nicht genau sagen, wie lang dieser Teil der Röhre ist, aber wir laufen eine ganze Weile bis zum Ende. Durch eine Tür gelangen wir in den nächsten Teil, der als Lebensmittellager dient. Hier stehen mit Frost überzogene Kartons auf mit Frost überzogenen Metallregalen. Je weiter wir nach hinten kommen, desto dicker wird die Frostschicht und desto mehr riecht es nach Treibstoff. Manche der Kisten stehen hier wohl schon seit Jahrzehnten und sind von einer förmlichen Eisschicht umgeben. Auch das Eis an den Stahlwänden der Röhre wird dicker und ist mit dichten Eisblumen besetzt. Berührt man sie, so zerfallen die Eisblumen mit einem klimpernden Geräusch. Das Eis muss über Jahrzehnte gewachsen sein.

Bild Kisten Der Durchgang zwischen den Röhren ist voller Eis an den Wänden.

Bild Kisten Das Materiallager befindet sich im vorderen Teil der großen Röhre

Bild Kisten
Im mittleren Teil werden Lebensmittel gelagert. Manche Kisten stehen hier schon seit Jahrzehnten tiefgefroren.

Bild Kisten Die Eisblumen machen ein klirrendes Geräusch wenn man sie berührt und sie zerbrechen.

Am End des Raumes erreichen wir wiederum einen kleinen Durchgang und nun ist auch klar, woher der Treibstoffgeruch kommt, denn dahinter befindet sich das Treibstofflager der Station. Der Geruch ist geradezu überwältigend. Jetzt verstehe ich auch warum wir davor gewarnt wurden, Eis vom Rand der Eisdosen zu essen. Das Speiseeis, was hier neben den anderen Lebensmitteln gelagert wird, nimmt den Treibstoffgeruch an.

Wir gehen durch den Durchgang hindurch und treten in einen dunklen Raum, der nur vorne durch eine einzige schwache Glühbirne erhellt wird. Als sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnen, erkennen wir die ersten Treibstofftanks – lange graue Zylinder ähnlich den Kesselwagen der Bahn, drei nebeneinander und zwei darüber. Und dieser Stapel wiederholt sich soweit ich in der Dunkelheit schauen kann. Ich suche einen Lichtschalter und betätige ihn. Einzelne Lampen im Abstand von vielleicht 20 Metern flackern auf und tauchen den Raum in ein gespenstisches Licht. Ich denke mir, wenn auf der Station mal ein Horrorfilm gedreht wird, dann wohl hier. Wir laufen den schmalen Gang zwischen der Wand und den Tanks entlang. Tanks hinter Tanks, das Ende ist nicht zu erkennen. Da müssen mehrere Millionen Liter an Treibstoff hineinpassen. Dieser Teil der Röhre scheint noch länger zu sein als die Lager davor. Am Ende erreichen wir einen Ausstieg mit einer Wendeltreppe nach oben. Auch hier ist alles mit Eis überzogen, das Licht erscheint aber wesentlich heller und freundlicher. Oben angekommen öffnen wir die Tür. Wir sind ziemlich weit weg von der Station an die Oberfläche gekommen. Ich schätze die Distanz auf gut einen halben Kilometer – so lang ist die Röhre. Statt nach draußen zu gehen kehren wir um und machen uns auf den unterirdischen Rückweg, denn wir müssen die Lichter noch ausschalten. Wieder zurück im Lager neben der Werkstatt biegen wir ein in den Versorgungsschacht und kommen am Einstieg zu den Eistunneln vorbei. Wir gehen weiter und enden in der „Bierdose“, dem vertikalen Schacht der die unterirdischen Gänge mit der Station verbindet.

Bild Kisten Der Durchgang zum Treibstofflager.

Bild Kisten Das Treibstofflager besteht aus großen Stahltanks; drei unten, zwei darüber, und das die ganze Röhre entlang.

Bild Kisten Der Ausstieg am Ende der Röhre. Alles ist mit Eis überzogen.

Während Christopher zurück in sein Zimmer geht, laufe ich wieder nach draußen Richtung Lagerplatz. Ich möchte noch ein paar Bilder von der Station machen. Fast unbemerkt wird es langsam Winter. Anstatt der sommerlichen Temperaturen pendelt sich die Temperatur nun zwischen -35°C und -40°C ein. Auch der Wind mit jetzt durchschnittlich 13 Knoten hat zugenommen und verursacht eine effektive Temperatur im Bereich zwischen -50°C und -60°C. Es wird Zeit, jede noch freie Stelle im Gesicht zu bedecken, ansonsten drohen innerhalb weniger Minuten Erfrierungen. Am Lagerplatz angekommen finde ich die Überreste der Ballonmission SPIDER. Neben dem aufgeschnittenen Cryostat befinden sich in den Kisten Teile von verbogenen Solarzellen, Bruchstücke der Kohlefaserstruktur der Gondel und viele weitere, auf teilweise bizarre Art verformte und abgesägte Teile. Insgesamt ein trauriger Anblick. Ich war selbst in 2018 an einer Ballonmission beteiligt und weiß um die viele Arbeit, in dem Bau der Gondel und der Instrumente steckt. Da tut es schon fast körperlich weh, die abgesägten Teile zu sehen. Mir wird allmählich kalt und so kehre ich in die Wärme der Station zurück.

Bild SPIDER Die Überreste der Ballonmission SPIDER. Die silbernen Teile neben den Holkisten sind Teile des Cryostats.

Bild SPIDER Die Station vom Lagerplatz aus gesehen. Auf geradem Weg die Straße entlang sieht man die Eingangstore zu den unterirdischen Röhren.