Ich wache erst um kurz vor 7 Uhr auf und habe die Wahl zwischen Frühstück und einer kurzen Dusche. Ich entscheide mich für die Dusche. Im Computerraum versuche ich mich an einen Computer anzumelden und nach einer halben Stunde klappt das auch. Das Internet ist sehr langsam, aber es reicht um eine Email an Natalie zu schicken: ich bin in McMurdo und die Chancen stehen gut, dass ich morgen nach Christchurch weiterfliegen kann. Dann kommen Christopher und Meggin (Meggin war unsere Krankenschwester auf der Südpolstation) vorbei. Sie wollen Wandern gehen und fragen, ob ich mitkommen möchte. Natürlich! Ich hatte schon gar nicht mehr mit der Möglichkeit gerechnet, denn ohne ein Sicherheitstraining darf man die Station nicht verlassen. Das Training findet nur am Samstag (gestern) statt, aber jemand meinte, es wird nur geprüft ob der Leiter der Gruppe das Training absolviert hat. Meggin saß während des COVID-Ausbruchs für drei Wochen in McMurdo fest und hatte damit Gelegenheit, das Training zu absolvieren. Viel lernt man dabei nicht wenn man schon einmal in der Antarktis unterwegs war. Auf Formalien wird hier jedoch sehr viel Wert gelegt. Nun, wir reichen unseren Wanderplan ein – das Ziel ist Castle Rock etwa 5 Meilen von der Station entfernt – und verabreden uns in 10 Minuten. Schnell den Rucksack packen, ein paar Stücke kalte Pizza für das Mittagessen aus der Kantine holen, Wasserflasche auffüllen, und los geht es. Unsere erste Station ist die „Pee Bottle Station“ – wir müssen Urinflaschen mitnehmen, denn wirklich aller Müll kehrt zur Station zurück. Dann geht es weiter zur Kommunikationszentrale, wo wir unser Funkgerät bekommen und als Wandergruppe registriert werden. Nun sind wir bereit und können die Station verlassen.

Wir laufen durch die Straßen von McMurdo den Berg hinauf. Hier gibt es eine Unmenge an Schildern mit Straßennahmen, STOP- und Vorfahrtsschilder vor den Kreuzungen, Schildern mit dem Hinweis im Auto den Gurt anzulegen. An den Straßenrändern stehen kreuz und quer geparkte Fahrzeuge: Radlader, Autos, LKWs, Baufahrzeuge. Dazu die heruntergekommenen und mit Wellblech verkleideten Barracken und überall der Straub der unbefestigten Straßen. Alles erinnert irgendwie an eine Bergbaustadt. Kein netter Ort zum Verweilen.

Bild Warten auf den Rückflug Eine Straße in McMurdo

Wir lasen McMurdo hinter uns und gehen weiter den Berg hinauf. Es hat nur -5°C, was uns beinahe tropisch vorkommt, und bald haben wir alle Jacken und Fleece ausgezogen, Mütze und Handschuhe auch. Es fühlt sich komisch an auf einer Schotterpiste zu laufen. Bald schon erreichen wir die erste Anhöhe und biegen noch vor Arrival Heights auf eine Schneepiste ab, immer den Fähnchen nach. Das ist auch so eine Eigenheit von McMurdo: überall stecken hier Fähnchen zur Markierung. Auf Davis gab es das nicht. Wir wussten, wo wir langgehen konnten, oder folgten Routen per Satellitennavigation. Nun, bei mehr als 1000 Personen in McMurdo kann man wohl nicht davon ausgehen, dass jede Person weiß, was sie da tut, wenn sie die Station verlässt. Mich stören die Fähnchen trotzdem.

Bild Warten auf den Rückflug Christopher und Bernd auf dem Weg nach Castle Rock

Es geht weiter leicht den Berg hinauf und wir passieren zwei Schutzhütten. Es ist nach wie vor beinahe windstill und warm in der Sonne – für uns recht ungewohnt. Bald schon sehen wir Castle Rock, ein steil aus dem Schnee herausragender brauner Felsen und das Ziel unseres Ausfluges. Wir entscheiden uns dazu, hochzuklettern. Auf der Rückseite des Felsens ist zur Sicherung ein festes Seil.

Bild Warten auf den Rückflug Der Felsen Castle Rock

Oben angekommen erwartet uns und ein toller Ausblick auf Erebus, ein ca. 3800 Meter hoher Schichtvulkan, und das offene Wasser des McMurdo Sund. Erebus ist immer noch aktiv und speit kleinere Wolken aus Wasserdampf und Vulkangasen.

Wir treffen auf weitere Wanderer und einer hat ein Fernglas dabei. In der Ferne sehen wir Pinguine als schwarze Punkte auf dem Eis. Das Meereis im McMurdo Sund brach vor ein paar Wochen während heftiger Winde aus und der Zugang zum Hafen ist nun eisfrei. Wir sehen in der Ferne den Eisbrecher Polar Star Kreise ziehen. Seine Dienste werden momentan nicht benötigt, da das Schiff Ocean Giant im Hafen liegt und derzeit entladen wird. Wir essen unsere mitgebrachte Pizza und treten schließlich den Rückweg nach McMurdo an.

Bild Warten auf den Rückflug Der Vulkan Erebus speit Wolken aus Wasserdampf und Vulkangasen

Bild Warten auf den Rückflug Der Zugang auf dem Meer zu McMurdo ist nun eisfrei

Zurück in der Stadt melden wir uns in der Kommunikationszentrale zurück und geben unser Funkgerät ab. Es ist noch zu früh für das Abendendessen, also entscheide ich mich für einen Spaziergang auf den Berg Observation Hill. Dieser hat die Form einer Pyramide und liegt direkt neben der Stadt. Auf dem Gipfel steht nach wie vor das von der Discovery-Expedition in 1902 errichtete Holzkreuz.

Bild Warten auf den Rückflug McMurdo vom Gipfel von Observation Hill aus gesehen. Die großen weißen Tanks sind Treibstofftanks und das lange blaue Gebäude im Zentrum ist das Kantinen- und Wohngebäude 155.

Nach dem Abendessen bringe ich mein Gepäck zum Wiegen. Anschließend beschließen Christopher und ich zur Discovery-Hütte zu laufen. Das Schiff Ocean Giant liegt immer noch im Hafen und während des Entladens bzw. Beladens ist die am Hafen vorbeiführende Straße zur Hütte gesperrt. Wir müssen also den Umweg über Arrival Heights nehmen, was uns jedoch nicht allzu viel ausmacht, denn es ist noch früh am Abend und das Wetter ist gut. Der Pfad führt uns wieder hinauf auf den Berg und dann auf einem Grat an der Küste entlang bis hinunter zu Hütte.

Bild Warten auf den Rückflug Die in 1902 von Robert Falcon Scott und der Discovery-Expedition gebaute Holzhütte.

Als wir an der Hütte ankommen erscheint diese viel kleiner als ich mir sie vorgestellt hatte. Das Dach ist sehr niedrig und ich könnte wahrscheinlich gerade noch so darin aufrecht stehen. Rein können wir allerdings nicht, denn sie ist abgeschlossen. Wir bewundern die Präzision der in das Dach eingelassenen Glasfenster mit den Läden zum Abdecken im Winter. Die Fenster sind weit heruntergezogen, so dass das Licht der tiefstehenden Sonne im Sommer durch die inneren Fenster ins Innere der Hütte gelangen kann. Die Hütte macht auf mich den Eindruck eine sehr durchdachte Konstruktion zu sein. Trotzdem ist es aus heutiger Sicht mit der Stadt McMurdo im Hintergrund kaum vorstellbar, wie die Expeditionsteilnehmer von damals in der kleinen Hütte den langen Winter überstehen konnten. Wie schnell sich die Möglichkeiten ändern. Die Hütte wurde gerade einmal vor 111 Jahren erbaut und nun befindet sich 300 Meter dahinter eine ganze Stadt. Trotz all meiner Abneigung gegenüber McMurdo möchte ich heute lieber nicht mit den Expeditionsteilnehmern von damals tauschen und freue mich auf mein Bett in einem geheizten Zimmer.