Warten auf den Flug zum Pol
Für heute sind zwei Tankflüge zum Pol geplant, gefolgt von ZSP-009 am Abend – unser Flug. Bei den Tankflügen werden die Tanks der LC-130 Hercules bis zum Maximum mit Kerosin gefüllt und ansonsten bleiben die Flugzeuge bis auf die Crew, typischerweise 6 Personen, leer. An der Amundsen-Scott-Station angekommen, wird dann ein Teil des Treibstoffs über Schläuche und Leitungen direkt in das Treibstofflager der Station gepumpt. Nur der für den Rückflug benötigte Treibstoff bleibt in den Flugzeugtanks.
Wann welche Flüge stattfinden, die Zeiten für die Shuttles raus auf das Meereis und weitere wichtige Informationen werden auf Bildschirmen überall auf der Station angezeigt. Wir haben auch einen Bildschirm bei uns im Zimmer. Neben interkontinentalen Flügen nach Christchurch und ein paar wenigen Flügen zu den Feldlagern wie zum Beispiel West Antarctic Ice Sheet (WAIS) Divide, die hauptsächlich mit kleineren Flugzeugen wie Basler und Twin Otter, manchmal auch mit Helikoptern bedient werden, gehen die meisten Flüge derzeit zum Pol und zurück. Oder werden zumindest dorthin geplant. Ich bin nicht sehr optimistisch, was unseren Flug heute angeht. Den Vormittag verbringe ich mit Dominique in der Bibliothek im Crary-Gebäude. Dort gibt es eine Handvoll Arbeitsplätze, die wechselnd genutzt werden können. Als nicht-Residents haben wir ansonsten keine Büroarbeitsplätze auf der Station.
Auf dem Weg vom Hauptgebäude zum Crary-Wissenschaftsgebäude (rechts). Der Berg im Hintergrund ist Observation Hill.
In der Bibliothek befinden sich neben allgemeiner Literatur über die Antarktis auch die Expeditionsberichte der großen Antarktisexpeditionen, darunter ein monumentales Werk der deutschen Expeditionen Anfang des letzten Jahrhunderts. Es sind sicherlich 25 dicke Bände, insgesamt etwa zwei Regalmeter. Es handelt sich hierbei um Originalberichte verfasst in deutscher Sprache. Daneben gibt es Berichte über die französischen Expeditionen in französischer Sprache, Berichte über die sowjetischen Antarktisexpeditionen in russischer Sprache, und natürlich eine ganze Reihe Berichte über die britischen und später amerikanischen und australischen Expeditionen. Hätte ich nicht so viel zu tun, würde ich mir sicherlich das eine oder andere Buch anschauen. Stattdessen widme ich mich dem Schreiben eines Papers.
Später zeigt uns eine Technikerin die Aquarien auf der untersten Ebene von Crary. Hierbei handelt es sich um mit Meerwasser durchspülten Becken verschiedener Größen, von einem Meter bis hin zu mehreren Metern Länge oder Durchmesser. Taucher suchen im McMurdo-Sund nach Lebewesen im Wasser und auf dem Meeresboden und bringen diese dann in die Aquarien für weitere Untersuchungen. Nach ein paar Tagen werden sie dann wieder ins Meer zurückgebracht. Es ist feucht und kalt als wir den Raum betreten, aber es fehlt der typische Salzwassergeruch, den man beispielsweise vom Atlantik kennt. Die Technikerin führt uns zu einem kleinen Becken in der Nähe des Eingangs – dem Streichelzoo. Ausgenommen der Meeresbewohner in den Aquarien gibt es keine Tiere mehr auf der Station. Die letzten Schlittenhunde wurden schon vor Jahrzehnten von hier weggebracht, da der Antarktisvertrag das Halten von nichtheimischen Tierarten in der Antarktis verbietet. In den Aquarien befinden sich bunte Seesterne verschiedener Größen, Seeigel, Seeanemonen, Wasserspinnen und andere Tiere, die ich nicht identifizieren kann. Mir war nicht bewusst, dass es hier unter der Meereseis so viele Lebewesen gibt.
Der Streichelzoo auf der untersten Ebene von Crary.
Seesterne, Wasserspinnen und andere Tiere werden für kurze Zeit in den Aquarien beobachtet und dann wieder ausgesetzt.
Während ich am Paper weiterschreibe, wird zuerst der erste Flug, dann gegen Mittag auch der zweite Flug wegen technischer Probleme abgesagt. Beim Mittagessen fängt es schließlich an zu schneien. Ich gehe fest davon aus, dass das heute nichts mehr wird. Da der Flug offiziell aber nicht abgesagt ist, begeben wir uns auf unser Zimmer und machen uns bereit. Wenige Minuten später erscheint dann aber schon „canceled“ auf dem Bildschirm und ich widme mich wieder dem Paper.