Wir saßen im Flugzeug, die Motoren liefen und wir sind ein paar Meter auf dem Taxiway gerollt – ich sollte eher gerutscht schreiben, denn die LC-130 steht auf Skiern. Dann stellten die Piloten die Triebwerke ab und wir mussten das Flugzeug wieder verlassen. Gegen Mitternacht waren wir schließlich wieder zurück in McMurdo. Doch der Reihe nach.

Der Wecker klingelt früh. Wir ziehen die Betten ab, frühstücken in der Kantine, packen unsere Sachen zusammen und bereiten uns für den Transport zum Williams Field vor, der Schneelandebahn auf dem Meereis vor der Küste. Als wir mit all unserer Extremwetterausrüstung angezogen und unserem Gepäck Gebäude 155 verlassen, weht uns ein kalter Wind entgegen. Es sind nur ein paar Meter den Berg hoch bis zu Gebäude 140, dem „Terminal“ mit dem Schalter für die Abfertigung, dennoch ziehe ich den Reißverschluss meines Parkas ganz hoch bis ins Gesicht und setze die Kapuze auf. Oben angekommen empfängt uns die Logistikmitarbeiterin mit der Botschaft, dass unser Flug von 9 Uhr auf 17 Uhr verschoben ist. Beinahe entschuldigend fügt sie hinzu, dass sie uns ein Shuttle für den Transfer zurück zu Gebäude 155 besorgen wird. Ich lehne dankend ab; ich bin eben den Berg hochgelaufen, da ist es den Berg runter doch ein Kinderspiel.

Zurück in Gebäude 155 verstauche ich meine Sachen und mache mich mit meinem Laptop auf den Weg ins Crary-Gebäude. Noch ein paar Tage in McMurdo und das ST08-Paper wird fertig zum Einreichen. Kurz vor unserem Transporttermin wird der Flug um eine weitere Stunde auf 18 Uhr verschoben. Der Wind hat inzwischen nachgelassen. Es ist nach wie vor bewölkt, aber die Sicht ist einigermaßen klar, also Flugwetter. Dennoch prüfe ich die Intranetseite mit den Flugterminen alle paar Minuten in Erwartung weiterer Verschiebungen. Aber es bleibt dabei, Abfahrt in McMurdo ist um 15:30 Uhr, also in ein paar Minuten. Ich packe zusammen, ziehe die Extremwetterkleidung an und mache mich auf den Weg zu Gebäude 140. Wieder empfängt uns die Logistikmitarbeiterin mit einem Lächeln: „Die gute Nachricht ist: das Wetter ist gut. Die schlechte Nachricht ist: das Flugzeug hat vielleicht ein technisches Problem, aber sie werden das erst rausfinden, wenn sie wirklich versuchen zu starten. Also schicken wir euch nun los.“ Nun denn, auf den zweiten Teil der Nachricht hätte ich verzichten können. Sie hakt unsere Namen auf ihrem Klemmbrett ab und schickt uns wieder nach draußen zu einem wartenden Geländewagen. Wir sind nur eine kleine Gruppe von 10 Personen, und da unser Gepäck seit unserer Ankunft am Montag in einem Lager auf dem Flugfeld sitzt, passen wir etwas beengt in das Auto.

Das Terminal in Gebäude 140 Das “Terminal” in Gebäude 140

Wir verlassen McMurdo auf einer staubigen Schotterstraße in Richtung der neuseeländischen Station. Der gestern gefallene Schnee ist bereits weggeblasen und so zeigt McMurdo zum Abschied wieder sein braunes Bergbau-Gesicht. Die Straße führt den Berg hoch und auf der anderen Seite in zwei weiten Serpentinen vorbei an Scott Base wieder runter zum Meer. Vereinzelt kommen uns Autos und Traktoren entgegen. Als wir auf das Meereis gelangen, überholen wir einen grünen Hägg der Neuseeländer. Richtig heißen diese Fahrzeuge Hägglunds nach der Herstellerfirma und bestehen im Grunde aus zwei kleinen Kettenfahrzeugen, die zur Lenkung über ein Gelenk zwischen ihnen verbunden sind. Aber sie werden von allen nur „Hägg“ genannt. Auf der australischen Station Davis bin ich viel mit diesen Fahrzeugen gefahren. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal damit in eine Gletscherspalte fiel. Aber das ist eine andere Geschichte.

Es dauert eine gute halbe Stunde bis wir Williams Field erreichen. Unser Fahrer bringt uns zur Kantine und dann heißt es wieder warten. Das Flugzeug ist tatsächlich defekt und muss repariert werden: zwei Stunden Verzögerung. Wenig später kommt die Nachricht, dass die Reparatur länger dauert: drei Stunden Verzögerung. Schließlich wird entschieden, die dritte LC-130 von Phoenix Field hierher zu bringen und startklar zu machen. Phoenix ist nur etwa 5 km entfernt, aber das Flugzeug muss erst einmal dort starten, hier landen und auftanken. Und dann muss noch die Fracht von dem defekten Flugzeug in das andere umgeladen werden. Um 20 Uhr werden wir zum Flugzeug beordert, aber die Frachtpaletten stehen noch draußen auf dem Eis. Wir warten im Auto und schauen den beiden Frauen zu, wie sie mit einem großen Stapler die Paletten eine nach der anderen über die Rampe am Heck in das Flugzeug schieben. Eine der beiden Frauen läuft neben dem Stapler her und gibt der Fahrerin Handzeichen bei der Aufnahme der Paletten. Der Loadmaster der LC-130 tut das gleiche beim Abladen auf der Rampe. Es ist ein eingespieltes Team; dennoch dauert es eine gute Stunde, bis die Paletten im Flugzeug verschwunden sind. Dann dürfen wir an Bord gehen. Wie bei der C17 am Montag sind die Sitze entlang der Bordwände des Flugzeugs angebracht. Nur ist die LC-130 kleiner und es ist damit deutlich enger an Bord. Meine Füße berühren die Frachtpalette vor mir, und der Loadmaster muss über uns drüber steigen um ins Heck des Flugzeugs zu gelangen.

LC-130 Die LC-130 ist bereit für den Start

Im Flugzeug Wir finden Platz neben den Frachtpaletten

Als die Triebwerke endlich starten bin ich guter Dinge, dass wir heute tatsächlich noch am Pol ankommen. Das Flugzeug schüttelt sich und vibriert, aber ich merke ansonsten keine Bewegung. Ich kann nicht nach draußen schauen, denn die kleinen Fenster sind von meiner Position nicht erreichbar. Aber instinktiv fühle ich, dass sich das Flugzeug immer noch am selben Ort befindet. Der Lärm und die Ohrstöpsel machen jede Unterhaltung unmöglich und ich verliere das Gefühl für die Zeit. Nach einer gefühlten Ewigkeit dann der ersehnte Ruck: wir bewegen uns! Aber nicht lange, dann höre ich wie die Triebwerke runterlaufen und gebe meinem Nebensitzer zu verstehen, dass wir heute nicht mehr fliegen werden. Ungläubigkeit in den Augen. Dann ist es plötzlich still. Der Loadmaster sagt uns, die Startbahn sei nicht vorbereitet. Für mich ist jedoch der wahrscheinlichere Grund, dass es den Piloten einfach zu spät war. Sie fliegen ungern nach 22:30 Uhr. Während wir auf das Beladen des Flugzeugs warteten, sah ich die beiden Traktoren, welche das Eis der Startbahn aufrauen, im Einsatz. Nun denn, die Piloten haben immer das letzte Wort. Wenn die Startbahn nicht bereit ist, dann ist sie nicht bereit. Punkt.

Niedergeschlagen verlassen wir das Flugzeug und steigen in das Shuttle, welches uns zurück nach McMurdo bringt. Wir waren so nah dran. Als ich im Shuttle meinen Kopf umdrehe und zurückblicke, sehe ich wieder die beiden Frauen, die damit beginnen, die Paletten aus dem Flugzeug auszuladen. Über “Nacht” wird es im Flugzeug zu kalt und die Fracht muss zurück ins beheitze Lager.