Letzte Tests des Lidars
Kurz nach vier Uhr werde ich von lautem Türenschlagen geweckt: die Neuankömmlinge sind hier. Eine LC-130 aus McMurdo hat in der Nacht etwa 30 Personen zu uns gebracht. Wirklich Nacht wird es hier natürlich nicht, aber in Ermangelung einer besseren Beschreibung verwenden wir nach wie vor die Wörter „Tag“ und „Nacht“, um unseren Tagesablauf zeitlich einzuteilen. Die Neuankömmlinge haben noch nicht gelernt, wie man die Brandschutztüren des Schlaftraktes leise zumacht – das braucht etwas Übung – und so geht der Lärm noch die nächsten zwei Stunden weiter, bis alle ihr Zimmer bezogen, etwas gegessen und auf Toilette waren. An schlafen ist nicht zu denken. Müde stehe ich um 06:30 auf und beginne die Morgenroutine: trinken, waschen (es gibt nur zwei 2-Minuten-Duschen pro Woche), Frühstück, Arbeitsvorbereitung, Emails.
Die nächsten Stunden verbringe ich damit, die Teleskop-Box des Lidars in Folie einzupacken. Dazu besorge ich mir aus dem Recyclingcenter große Müllsäcke, die ich aufschneide, mit Aluminiumklebeband zusammenklebe und als Planen verwende. Am Ende soll das eine luftdichte Hülle werden, die verhindern soll, dass warme Luft aus dem Labor durch die vorhandenen Ritzen in die Teleskop-Box eindringen kann. Soweit die Theorie. Die Praxis gestaltet sich weitaus mühsamer, denn auf der Rückseite, in die Box halb eingelassen, verläuft eine Kabeltrasse des Gebäudes, und ich muss für jeden einzelnen Holm der Trasse und für jedes Kabelbündel Ausschnitte in die Folie machen und wieder luftdicht verkleben. Dazu kommen die Kabeldurchführungen für das Lidar selbst.
Nicht schön aber funktional: Die Teleskop-Box des Lidars eingepackt in Plastikfolie. Eine Herausforderung ist die Kabeltrasse, die mitten durch die Rückwand der Box führt.
Es dauert bis nach dem Mittagessen, bis das Einpacken in Folie fertig ist. Als ich auf das Dach der Station gehe, um die Luke des Lidars zu öffnen und das Lidar einem hoffentlich finalen Test zu unterziehen, sehe ich die Touristen, die auf Skiern die kurze Strecke von ihrem Lager zum Südpol laufen. Sie sind etwa zwei Stunden zuvor mit einer Basler hier gelandet, und ein Foto auf Skiern gehört wohl zum Programm. Bei manchen sieht es so aus, als ob sie zum ersten Mal auf Skiern stehen. Ob man dafür zum Preis von etwa 80.000 Euro pro Person von Kapstadt zum Südpol fliegen muss?
Die Touristen kommen mit einer Basler und bleiben für eine Nacht im Camp (Zelte im Hintergrund). Hier laufen sie mit Skiern die kurze Strecke vom Camp zum zeremoniellen Südpol. Der braune Container mit dem blauen Schild ist das Besucherzentrum der Südpolstation.
Zu mir auf dem Dach gesellt sich Katelyn, die Meteorologin der Station. Sie macht sich an zwei uralten Sonnenscheinrekordern zu schaffen. Diese funktionieren ganz analog ohne Elektronik. Eine etwa 10 cm durchmessende Glaskugel bündelt das Licht auf einen Pappstreifen hinter der Kugel. Scheint die Sonne, so brennen ihre gebündelten Strahlen ein Loch in die Pappe. Durch die Erddrehung – oder die scheinbare Wanderung der Sonne am Himmel – bewegt sich der Brennfleck mit der Zeit. Es entstehen Brennstreifen, deren Länge die Sonnenscheindauer angibt. Das Instrument ist recht simpel, aber sehr effektiv. Katelyn macht sich nun an dem Instrument zu schaffen, um den Pappstreifen auszutauschen. Weiter hinten auf dem Dach steht die modernere Variante: elektronische Radiometer. Diese laufen voll automatisch und benötigten keine täglichen Wartungsarbeiten.
Ein ganz analoger Sonnenscheinrekorder: Sonnenstrahlen, gebündelt von der Glaskugel, brennen Löcher in einen dahinterliegenden Kartonstreifen. Aus der Länge der Löcher kann die Sonnenscheindauer abgelesen werden. Weil die Sonne hier einmal am Tag im Kreis wandert, gibt es zwei Instrumente, die in entgegengesetzte Richtungen schauen. Im Hintergrund befindet sich das Südpolteleskop und zwei Kosmologieexperimente.
Wieder unten im Labor beobachte auf dem Lidar-Computer, wie das Teleskop abkühlt. Acht Sensoren messen an verschiedenen Stellen in der Lidar-Box die Temperatur, und das Programm auf dem Monitor zeigt den Verlauf graphisch an. Ich sehe wie die Temperatur in der Box fällt, schneller als beim letzten Test. Das Einpacken hat sich auf jeden Fall gelohnt. Ich starte den Laser, bringe den Laserstrahl in das Sichtfeld des Teleskops, starte die automatische Strahlstabilisierung (CONSCAN) und bringe zwei weitere Fester mit der Anzeige der Lidar-Signalstärke und den Winkeländerungen der Strahlstabilisierung auf den Monitor. Das Signal scheint weniger zu schwanken, was auf geringere Turbulenzen über dem Teleskop hindeuten würde. Soweit so gut. Der fast 50 kg schwere Teleskopspiegle ist jedoch noch warm, und ich muss warten, bis dieser langsam abkühlt, bevor ich genaue Vergleichsmessungen machen kann. Währenddessen mache ich Tests mit der neuen Strahlstabilisierung: ich schalte sie aus, bewege den Laserstrahl manuell etwas aus dem Sichtfeld des Teleskops heraus, schalte sie wieder ein und beobachte, wie schnell und zuverlässig sie den Strahl wieder in das Zentrum zurückzieht. Ich bin mit dem Ergebnis der Tests mehr als zufrieden, ja begeistert. Wenn nur alle Entwicklungsarbeiten so schnell überzeugende Ergebnisse liefern würden. Die Neuprogrammierung der Elektronik (FPGA) hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Ich lasse das Lidar die nächsten Stunden weiterlaufen und optimiere weitere Systemparameter, wie die Kristalltemperatur im Laser und Zeitkonstanten von CONSCAN, fokussiere das Teleskop, stelle die Divergenz des Laserstrahls neu ein und Teste die neue Betriebssoftware auf mögliche Fehler, die ich bisher übersehen habe. Doch alles läuft stabil und ohne Ausfälle.
Die Fenster auf dem Bildschirm liefern Auskunft über den Zustand des Instruments.
Zum Abendessen gibt es zu Ehren von Roald Amundsen, der heute vor genau 113 Jahren gegen drei Uhr am Nachmittag als erster Mensch den Südpol erreichte, norwegischen Lammbraten und Kuchen in Form einer norwegischen Flagge. Auch am Südpol weht heute für einen Tag neben der amerikanischen Fahne eine norwegische Fahne. Es ist voll in der Kantine und laut. Mit nun knapp 150 Personen hat die Station ihr Limit erreicht, und der Ruhe und Gelassenheit der ersten Tage weichen Lärm und Gedränge. Es wird Zeit, dass ich von hier fortkomme.
Zu Ehren von Roald Amundsen weht heute die norwegische Flagge am Südpol. Er hatte heute vor genau 113 Jahren gegen 3 Uhr am Nachmittag als erster Mensch den Pol erreicht.
Wieder im Labor kontrolliere ich mit einem Oszilloskop die zeitliche Abfolge von Trigger-Signalen und dem optischen Puls, der aus dem Laser herauskommt. Alles passt. Das war der letzte Test auf einer langen Liste von Punkten. Ich drücke auf den Ausschalten-Knopf und beobachte, wie die Steuersoftware nacheinander den Laser stoppt, die Datenerfassung beendet und die einzelnen Geräte ausschaltet. Auch das hat geklappt. Nun ist das Instrument bereit für den Winter.
Oben auf dem Dach ist es beinahe vollkommen windstill. Ich habe nur eine dünne Fleecejacke und Handschuhe an, denn ich will nur schnell die Luke über dem Teleskop schließen. Dann bleibe ich stehen und beobachte die Umgebung. Die lärmenden Touristen sind verschwunden und in ihr Lager zurückgekehrt. Auch sonst ist es ruhig. Wo vorher die großen Raupenschlepper Schnee schoben oder Frachtpaletten hin und her transportieren, herrscht nun Stille. Es ist Samstagabend und die Stationsbesatzung feiert den Abend vor dem freien Tag morgen. Ich betrachte den Himmel. Dieses intensive Blau, das am Horizont in das weiß des Schnees übergeht, ich werde es vermissen. Ich drehe mich langsam einmal um meine Achse und versuche das Bild in meinem Gedächtnis zu speichern. Die Straße, die von der Station ausgehend am Flugfeld vorbeiführt und sich in der Unendlichkeit verliert. Es ist ein vollkommen außergewöhnlicher Tag. Trotz der -28°C Lufttemperatur und meiner dünnen Kleidung ist mir nicht kalt und ich spüre die intensiven Sonnenstrahlen in meinem Gesicht. Wäre ich wie sonst angezogen und von oben bis unten dick eingehüllt, würde ich das gar nicht bemerken. Was Windstille für einen Unterschied im Kälteempfinden macht. Ich drehe mich noch einmal um 180° und lasse die Sonne auf meinen Rücken scheinen. Vor mir liegt der Clean Air-Sector mit dem NOAA-Labor, ein einziges Gebäude in der Ferne. Was für ein Kontrast zu den aufgewühlten Schneebergen und dem überall rumstehenden schweren Gerät auf der anderen Seite. Dann fällt mir auf, was diesen Ort hier so besonders macht: die weite unberührte Fläche dahinter. In Deutschland kann man nirgendwo 10 Kilometer weit schauen ohne auf ein Zeichen von Zivilisation zu stoßen. Hier hört hinter dem NOAA-Gebäude der Einfluss der Menschen auf. Dahinter kommt für viele Hundert Kilometer nichts als Schnee und Eis. Vermutlich ist es das, was die Faszination der Antarktis ausmacht. Die Suche nach den letzten Flecken unberührter Natur.
Die geöffnete Luke im Dach der Station. In der Ferne sichtbar ist der Maschinenpark und Lagerplatz der Station.
Der Clean Air-Sektor der Station mit dem NOAA-Labor in der Ferne.