Es ist Sonntag und mein letzter geplanter Tag auf der Station. Ich bin für morgen für einen Flug nach McMurdo eingetragen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Flug nicht stattfinden wird. Das Wetter für die Flugfelder Phoenix und Williams Field ist bis Mittwoch rot. Für den unwahrscheinlichen Fall der Fälle bereite ich dennoch alles für meine Abreise morgen vor. Ich aktualisiere die Liste mit den Ersatzteilen und den Werkzeugen und sonstigen Materialien für das Lidar und packe alles in eine Zarges Box, die neben dem Lidar stehen bleiben wird. Noch wichtiger ist das Erstellen einer Liste mit Teilen, die bei der nächsten Wartung des Lidars – hoffentlich erst in ein paar Jahren – mitgebracht werden müssen. Zum Schluss kommt die Fotodokumentation des Instruments. Sollte etwas ausfallen oder nicht wie geplant funktionieren, muss ich dem Techniker anhand der Bilder erklären können, welches der vielen Kabel er prüfen oder wo umstecken muss. Die beiden Techniker, sie werden hier Research Associates genannt, haben zwar Grundkenntnisse in Messtechnik und Elektronik, sind aber in der Regel mit Lidar-Instrumenten nicht vertraut. Dann noch die Anleitung für das Instrument auf den neuesten Stand bringen, ausgeliehenes Werkzeug zurückgeben, Daten kopieren und sauber machen. Und schon ist wieder ein Tag vorbei. Ich schaffe noch am Abend Wäsche zu waschen, so kann ich zumindest morgen frische Wäsche einpacken. Ein Vorteil der trockenen Luft hier ist, dass Wäsche auch ohne Trockner innerhalb von wenigen Stunden trocken wird. Man kann direkt fühlen, wie sie durch die Verdunstungskälte abkühlt, sobald man die Wäsche aus der Waschmaschine holt.

Die Kantine ist mittlerweile weihnachtlich dekoriert, eine vorweihnachtliche Stimmung ist trotz des vielen Schnees draußen bisher nicht aufgekommen. Dass ein Großteil der Wissenschaftler und Techniker erst so spät hier eingeflogen wurde oder noch gar nicht hier ist, hat die Zeitpläne durcheinander gewürfelt und zu viel Hektik in den letzten Tagen geführt. Manche von ihnen müssen nun unverrichteter Dinge zurückkehren, weil ihre Fracht gar nicht oder zur spät ankam. Es ist eine chaotische Saison mit ziemlich verrücktem Wetter. Dominique schrieb mir eben, dass in McMurdo so viel Schnee lag, dass bei seiner Fahrt von Williams Field nach McMurdo die Autos die Schneepisten nicht mehr befahren konnten. Die Autos mussten schließlich auf Schlitten gestellt und von einem Raupenschlepper gezogen werden. Eine sehr außergewöhnliche Art der Fortbewegung. Dabei zeigt sich einmal mehr, dass eine Reise zum Südpol eben doch noch etwas anderes ist als ein Linienflug in die USA oder nach Australien. Relativ gesehen habe ich großes Glück gehabt. Ich hing zwar 8 Tage in McMurdo bei der Anreise fest, konnte aber dennoch meine Arbeit fast pünktlich abschließen.

Die Kantine ist weihnachtlich dekoriert.

Mein Abendspaziergang führt mich in weitem Bogen einmal um die Station herum. Ich betrachte die Überreste der gigantischen Schneewehen, die in den letzten Tagen mit Raupenschleppern größtenteils abgetragen und zu großen Schneebergen hinter der Station aufgetürmt wurden. Das NOAA-Gebäude mit dem Luftobservatorium sieht aus der ferne wie ein einstöckiges Gebäude aus, dabei besitzt es zwei Stockwerke und steht auf einem Stelzengerüst. In den 20 Jahren seit dem Bau ist es fast zu zwei Dritteln im Schnee versunken. Anstatt die Treppe hoch zum Eingang zu gehen, muss man erst einmal durch ein Loch im Schnee nach unten rutschen.

Das NOAA-Gebäude beherbergt Instrumente zur Messung von Spurengasen in der Luft.

Das NOAA-Gebäude kurz nach dem Bau in 2003. Es war damals noch freistehend und die Stelzen waren deutlich sichtbar.

Auch die Station selbst versinkt langsam aber sicher im Schnee. Auf der Rückseite wird zwar jeden Sommer fleißig mit viel Aufwand Schnee abgetragen, auf der Vorderseite hat die Schneehöhe aber schon das erste Level der Station erreicht. Die Station steht wie das NOAA-Gebäude auf Stelzen. Bei der Konstruktion wurde eingeplant, die Station zu einem späteren Zeitpunkt hydraulisch anzuheben, die Stelzen zu verlängern, und so die Station aus dem Schnee zu befreien. Das wurde bisher aber noch nie gemacht, und die Ingenieure müssen erst herausfinden, wie man das in der Praxis umsetzt. Bis dahin heißt es jeden Sommer Schnee schieben.

Auf der Vorderseite der Station (rechts) reicht die Schneehöhe schon bist in das erste Stockwerk hinein.

Der Niederschlag in Form von Schnee hier am Pol ist nicht sehr hoch, nur ein paar Zentimeter pro Jahr. Warum versinkt dann hier alles im Schnee? Nun, ein Großteil des Schneezutrags kommt von wo anders her. Der Pol ist nicht die höchstgelegene Region in der Antarktis. Aus den noch größeren Höhenlagen fallen im Winter, wenn es sehr kalt ist, katabatische Winde wie in einer Rutsche nach unten. Diese Winde wirbeln Schnee auf und tragen ihn mit sich fort. Wird das Gefälle geringer, so nimmt die Windgeschwindigkeit ab und Schnee wird abgelagert. Die Gegend um den Pol ist sehr flach und dementsprechend viel Schnee wird im Winter hier deponiert.

Eine Verteilerstation nahe dem Südpolteleskop ist beinahe schon komplett im Schnee versunken.

Wie kalt wird es im Winter? Letzten Winter wurden mehr als -70°C erreicht. Der Rekord am Pol liegt bei -82,8°C, gemessen am 23. Juni 1982. Die tiefste jemals von einem Menschen gemessene Temperatur beträgt -89,2°C. Das war auf der russischen Vostock-Station, die etwas höher liegt als der Südpol. Messungen von Satelliten aus deuten darauf hin, dass in manchen Tälern des transantkartischen Gebirges Kältepole mit Temperaturen deutlich unterhalb von -90°C entstehen können. Diese Regionen sind aber so abgelegen, dass auf absehbare Zeit kein Mensch dorthin gelangen wird, zumindest nicht im Winter.

Noch niedrigere Temperaturen werden in der Erdatmosphäre im Bereich der Sommermesopause in hohen Breiten erreicht. In Höhen um 85 km herrschen dort im Sommer regelmäßig Temperaturen zwischen -120°C und -150°C. Das weiß man nicht zuletzt auch von Lidarmessungen. Mit unserem Lidar am Südpol könnten wir theoretisch auch diese niedrigen Temperaturen in der Atmosphäre messen. Da hier aber im Sommer die Sonne nicht untergeht, bräuchten wir teure Tageslichtfilter, damit unser Instrument empfindlich genug wird. Nun, vielleicht werden wir bei der nächsten Wartung des Instruments welche einbauen.