Flug nach McMurdo
Die Wettervorhersage für McMurdo sieht nicht gut aus und ich rechne damit, auf jeden Fall noch einen Tag am Pol bleiben zu müssen. Also nehme ich ein Projekt in Angriff, was ich schon seit meinem letzten Besuch am Pol machen wollte: mit stündlichen Aufnahmen die Wanderung der Sonne zu dokumentieren. Beginnend um 8 Uhr morgens gehe ich immer zur vollen Stunde aufs Dach der Station und mache ein Bild in Richtung Sonne. Ansonsten arbeite ich weiter an der Software für das Lidar-Betriebsystem. Seit zwei Jahren suche ich einen Fehler, der dazu führt, dass in sehr seltenen Fällen Nachrichten, die zwischen den verschiedenen Programmen ausgetauscht werden, verloren gehen. Es sind nur ein oder zwei Nachrichten pro Stunde, was angesichts etwa 1000 verschicken Nachrichten pro Sekunde wirklich nicht viel ist – und die Fehlersuche damit umso schwieriger macht. Nach jeder Änderung im Programm muss ich etwa eine Stunde warten.
Die Wanderung der Sonne über dem Pol von rechts (8 Uhr morgens) nach links (9 Uhr abends). Die Bilder wurden im Abstand von einer Stunde vom Dach der Station aus aufgenommen.
Zwischendurch werfe ich immer wieder einen Blick auf die Flugpläne. Alle Flüge für heute sind nach und nach gestrichen worden, mit Ausnahme von zwei Flüge zum Pol um 17 Uhr und 18 Uhr. Als 17 Uhr durch ist, denke ich mir schon, dass eventuell das Wort „gestrichen“ vergessen wurde. Dann um 18:20 Uhr kommt die Durchsage: „Attention South Pole. Attention South Pole. This is Comms with a flight update. Skier 23 has departed McMurdo.“ Ein Flugzeug ist unterwegs und wird mich auf dem Rückweg mitnehmen. Mir bleiben noch drei Stunden. Ich beende meine Fehlersuche am Computer, gehe schnell zum Abendessen in die Kantine, packe meine Sachen, ziehe das Bett ab und putze mein Zimmer. Dann noch einmal ins Labor Daten sichern und Programme für den Winter starten. Kontrollieren, dass wirklich alles läuft. Ich mache noch ein letztes Sonnenbild vom Dach der Station. Als die Durchsage kommt, dass das Flugzeug nur noch fünf Minuten entfernt ist, mache ich mich auf den Weg zurück in mein Zimmer. Ich ziehe die Extremwetterkleidung an, packe mein Handgepäck und gehe zum Ausgang. Ein paar Stationsbewohner warten dort bereits auf die Neuankömmlinge, die gleich aus dem Flugzeug aussteigen werden. Andere wiederum sind gekommen, um uns zu verabschieden. Mit mir reisen noch 6 weitere Personen zurück nach McMurdo. Sheryl kommt vorbei, um mir eine gute Rückreise zu wünschen. Dann heißt es warten. Das Ausladen und Einladen der Fracht dauert heute deutlich länger als normal und Denise, die Leiterin der Station, wird ungeduldig. Mehrmals läuft sie hoch zur Kommunikationszentrale, kann dort aber auch nichts ausrichten. Mir wird heiß in den Klamotten.
Das Flugzeug bringt uns zurück nach McMurdo
Als ich beschließe zum Abkühlen nach draußen zu gehen, geht es endlich los. Zielstrebig laufen wir in unserer kleinen Gruppe die wenigen Hundert Meter von der Station auf das wartende Flugzeug zu. Jemand von der Crew winkt uns zu, alles bereit zum Einstieg. Ich laufe vor die Nase des Flugzeugs. Die laufenden Triebwerke machen wieder einen Höllenlärm und man spürt die von den Propellern erzeugten Luftdruckschwankungen am ganzen Körper. Der KBA-Pilot neben mir bleibt unsicher stehen; er ist wohl noch nie mit einer Hercules geflogen und weiß nicht wohin. Ich bedeute ihm mir zu folgen. Über die kleine Treppe steigen wir in den dunklen Bauch des Flugzeugs und ich muss die Sonnenbrille abnehmen, um etwas erkennen zu können. Bis auf die vorderste, dem Eingang am nächsten gelegene Position ist der gesamte Frachtraum voll mit Paletten. Aber auch ganz vorne ist beinahe jeder Zentimeter mit Gepäck vollgestopft. Ich zwänge mich am Loadmaster vorbei und beginne damit, mein Gepäck in den bereits bestehenden Berg an Gepäckstücken zu integrieren. Wir werfen zwei Spanngurte über den Haufen und der Loadmaster zieht sie fest. Dann ertönt auch schon das charakteristische Flattern der Propeller und mit einem Ruck setzt sich das Flugzeug in Bewegung. Nicht einmal zwei Minuten später sind wir bereits in der Luft. Wir haben den Pol verlassen.
Es ist nicht viel Platz im Flugzeug zwischen all den Gepäckstücken.
Wir überliegen einen Teil des transantarktischen Gebirges
Das Flugzeug gleitet ruhig durch die Luft und wir dösen vor uns hin. Zwischendurch stehe ich auf und schaue durch das kleine Fenster schräg hinter mir. Wir passieren wieder das transantarktische Gebirge, doch diesmal sind die Täler von Norden her voll mit Wolken und versperren den Blick auf die gewaltigen Gletscher. Es ist gegen ein Uhr morgens, als wir mit dem Landeanflug auf Williams Field beginnen. Das Flugzeug wird noch einmal von Turbulenzen erfasst und richtig durchgeschüttelt, dann setzen die Piloten es ohne einen merklichen Ruck auf der Schneelandebahn auf. Wir steigen aus in die tiefstehende Sonne, und es dauert eine Weile, bis ich begreife, was so anders ist. Die Sonne ist leicht rötlich, ein starker Kontrast zu den gleisenden Sonnenstrahlen der immer gleich hoch stehenden Sonne am Pol.
Ankunft auf dem Williams Field vor McMurdo
Kathy, eine etwa 50jährige Frau, wartet auf uns mit ihrem Shuttle. Wir verstauen unser Gepäck im hinteren Teil des Allradfahrzeuges und steigen ein. Sogleicht warnt Kathy uns, dass die Fahrt nach McMurdo lange dauern wird. Wegen des Schneefalls und den hohen Temperaturen in den vergangenen Tagen ist die Piste über das Meereis in einem erbärmlichen Zustand. Als sie von der Rampe auf die „Straße“ einbiegt, beginnt der Wagen in den tiefen Furchen im Schnee hin und her zu rutschen und wir werden gut durchgeschüttelt. Vorhin sei hier jemand stecken geblieben, erzählt sie weiter. Sie selbst sei auch schon festgesteckt, hätte es aber dann doch noch ohne Hilfe herausgeschafft. Als sie das letzte Mal vor neun Jahren hier war, gab es nur einen Tag mit Temperaturen über Null Grad. Nun sei es diese Saison schon eine Woche so, führt sie ihre Erklärung fort.
Kathy fährt in Schlangenlinien über die Piste, um den tiefsten Löchern auszuweichen, und es dauet eine gefühlte Ewigkeit, bis wir die Küste erreichen. Vermutlich haben wir alle denselben Gedanken, aber keiner spricht in laut aus. Wenn die Start- und Landebahn auch so aussieht, wird das mit dem Flug nach Christchurch morgen nichts.
Die Straße den Berghoch an der neuseeländischen Station vorbei gleicht einer Geröllhalde und ist stellenweise von Wassergräben durchzogen, aber wir kommen nun schneller voran. Dennoch ist es bereits nach zwei Uhr am Morgen, als wir McMurdo erreichen. Es gibt hier kein Empfangskomitee. Im Gegensatz zum Pol scheinen hier nicht viele Menschen nachts zu arbeiten. An einer Pinnwand in Gebäude 155 finde ich einen Umschlag mit meinem Zimmerschlüsse. Auf dem Weg zum Schuppen neben an, wo es Bettwäsche gibt, komme ich an der Kantine mit den Fluganzeigen vorbei: ich bin für einen Flug nach Christchurch für Morgennachmittag eingeplant und die Gepäckabgabe ist um 8 Uhr. Das wird eine kurze Nacht werden, aber vielleicht klappt es ja mit der Rückreise schneller als gedacht.