Sommer in McMurdo
Das Wichtigste vorweg: ich habe einen Rückflug nach Christchurch am Samstag. NCH02 ist der letzte Flug aus McMurdo für dieses Jahr, und ich hoffe, das klappt. Es wird erst der zweite Flug der Nationalgarde aus Nevada in die Antarktis sein; nachdem NCH01 jedoch heute fast pünktlich startete, bin ich guter Dinge. Die Wetteraussichten sind auch gut.
Für mich gibt es in McMurdo nichts wirklich Dringendes zu tun. Ich verbringe den Tag zum Großteil in der Bibliothek im Cary Gebäude und arbeite Emails ab, die ich am Pol nicht erledigen konnte. Outlook weigerte sich hartnäckig, größere Emails über eine langsame Verbindung abzurufen. Erst hier in McMurdo klappt das wieder. Falls ich noch einmal zum Pol reise, brauche ich einen vernünftigen, nicht vom DLR betreuten Computer mit brauchbarer Software. Zweimal hat es nun nicht funktioniert.
In der Kantine gibt es keine frischen Sachen mehr. Die Salatauswahl beschränkt sich auf Rote Bete und Bohnen – beides aus der Dose – und auch ansonsten sieht das Essen mehr nach aufgetauten Fertiggerichten aus. Nur der Kuchen zum Nachtisch scheint frisch gebacken zu sein, allerdings mit so viel Zuckermasse oben drauf, dass er beinahe ungenießbar ist. Am Pol war das Essen deutlich besser.
Ich sollte nicht so viel meckern. Andere Leute geben sehr viel Geld dafür aus, einmal die Antarktis zu Gesicht zu bekommen. Ich hatte dagegen die Chance viele Tage hier zu sein und werde sogar dafür bezahlt. Das untätige Rumsitzen und Warten liegt mir jedoch einfach nicht. Meine Arbeit hier ist beendet und ich will nach Hause. Bei der Hinreise zum Pol habe ich zwar auch lange Zeit in McMurdo verbracht, aber mit der noch vor mir liegenden Arbeit war die Motivation einfacher. Jetzt liegt der Zweck meiner Reise hinter mir, und es gibt nichts mehr, was mich hier hält.
Mein Abendspaziergang führt mich zunächst ziellos durch McMurdo. Es ist warm geworden. Mit Temperaturen um 0 Grad benötige ich meine Antarktiskleidung nicht mehr. Stattdessen habe ich Jeans, ein Fleece und darüber meine Sommerjacke an. Selbst die Handschuhe habe ich im Zimmer gelassen.
Kleine Bäche säumen die Straßen von McMurdo
Die Straßen haben sich in staubige Pisten verwandelt und sind gesäumt von Schmelzwasserbächen. Schnee gibt es in McMurdo nur noch Reste an Stellen, die noch vor wenigen Wochen große Schneeberge waren. Immer wenn ein Auto oder Schlepper vorbeikommt, muss ich die Augen vor den aufgewirbelten Staubwolken schließen. Nie war meine Assoziation mit einer Bergbausiedlung größer als jetzt. Ich beschließe auf Observation Hill zu steigen, um diesem staubigen Loch zu entkommen. Auf dem Weg den Berg hoch muss ich meine Jacke ausziehen, es ist einfach zu warm. Die Reste eines Schneefeldes sind zu überqueren, aber ansonsten besteht der Weg nur aus Geröll. Schwarze, kantige Lavasteine gemischt mit Grundgestein, dazwischen rötliche Steine und fast weißer Sand. Observation Hill ist nicht sehr hoch und nach nicht einmal einer halben Stunde erreiche ich den Gipfel. Oben angekommen herrscht ein leichter Wind und ich ziehe meine Jacke wieder an. Man hat einen guten Überblick von hier oben, einmal auf McMurdo am Fuße des Berges und zum anderen auf das Eisschelf auf der anderen Seite. Auf dem Eis sehe ich die Flugfelder Williams Field und Phoenix, und den Ballonstartplatz LDB. In Phoenix startet gerade ein Flugzeug. Das muss NCH001 mit Ziel Christchurch sein. Eine schwarze Rußwolke hinter sich herziehend gewinnt das Flugzeug in einer langgezogenen Kurve an Höhe und nimmt schließlich Kurs nach Norden, ehe es in der Wolkendecke verschwindet. Ein schrilles nerviges Piepen dringt von McMurdo nach oben und lässt mich umdrehen. Es ist ein Bagger, der sich im Schneckentempo die Hauptstraße entlang bewegt. Dahinter kommt der große KRESS-Schwertransporter in gleicher Richtung. Er hält zum Tanken vor einem der riesigen Öltanks mit einer Tankstelle davor. Zwischendurch fahren mehrere Shuttles die Straße entlang aus Richtung der Flugfelder, dann ein Caterpillar Raupenschlepper ohne Motorhaube und mehrere Stapler. Weiter hinten sind zwei andere Stapler damit beschäftigt, Container zu transportieren. Ich schaue dem Treiben noch eine Weile zu und mache mich dann auf den Rückweg.
Blick von Observation Hill aus auf McMudo.
Unten angekommen folge ich der Straße raus aus McMurdo Richtung Scott Base. Hinter dem Feld mit den großen Öltanks biegt ein kleiner Pfad Richtung Küste ab und führt einmal um Observation Hill herum. Ich folge dem Pfad über Geröllfelder aus braunen und schwarzen Lavasteinen hinunter zu den Pressrücken. Wo das Meereis gegen die Küste gedrückt wird, entstehen Risse und es faltet sich meterhoch auf. Auf der Station werden geführte Touren durch die Pressrücken angeboten, auf planierten Wegen mit in das Eis gehauenen Treppenstufen. Eine richtige Touristenattraktion. Gut, man darf nicht vergessen, dass es hier in McMurdo auch viele Bauarbeiter gibt, die vielleicht noch nie in ihrem Leben vorher Meereis gesehen haben.
Das Schelfeis vor McMurdo
Schmelzwasserseen auf dem Eis
Auf dem Eis sieht man immer wieder kleinere Schmelzseen mit charakteristischen türkiesen Farben, und es wird klar, dass auch hier der Sommer längst begonnen hat. Die hier in der Nähe geborenen Robbenjungen sind bereits alle weg, und der verbliebene Schnee ist weich und matschig. Die dunklen Lavasteine heizen sich in der Sonne stark auf.
Der Pfad windet sich hoch auf eine kleine Anhöhe, von wo es schließlich wieder hinunter nach McMurdo geht. Nach einem kurzen Ausflug hat mich die Zivilisation wieder. Ich laufe an der Stelle, an der mittels langen Rohren Wasser aus dem Meer gepumpt und der Wasseraufbereitungsanlage zugeführt wird, vorbei und gelange zu den Hubschrauberlandeplätzen. Von dort aus geht es weiter am Ufer entlang zum Kraftwerk der Station, der Kläranlage und schließlich zu den Wohngebäuden. Mein Weg endet and der Kreuzung zur Hauptstraße neben dem blauen Gebäude 155. Mein Zimmer befindet sich dort drin in der Mitte – fensterlos, aber dafür warm.
McMurdo von der kleinen Anhöhe aus gesehen.