Die Arbeit am Pol hat ihre Tücken, auch wenn man den ganzen Tag in der Station bleibt und sich im Labor bei angenehmen Temperaturen (Christopher bevorzugt kurze Hosen!) aufhält. Ein vor allem für die Elektronik gefährliches Problem ist die extrem geringe Luftfeuchtigkeit und eine damit einhergehende verstärkte elektrostatische Aufladung. Alle Gegenstände, die man anfasst und die nicht vollständig aus Metall sind, laden sich durch Reibung beim Anfassen hier am Pol elektrostatisch auf. Bei einer normalen Luftfeuchte können diese Ladungen allmählich über die Luft wieder abfließen; die Luft leitet sozusagen ein bisschen. Hier am Pol ist die Luft aber so trocken – sie ist praktisch ein perfekter Isolator – so dass die Ladungen auf den Gegenständen bleiben. Als aufgeladener Gegenstand kommt fast alles in Frage: der Tritt aus Plastik, die Wasserflasche, das Funkgerät in der Tasche, ja sogar der Körper selbst und die Kleidung. Wenn man zum Beispiel das Fleece auszieht, entstehen elektrische Funken und es knistert. Wenn ich Zeit habe, mache ich davon mal ein Foto mit Langzeitbelichtung im Dunkeln.

Die Funken tun nicht weh, es kitzelt nur ein wenig. Elektronische Geräte mögen solche Spannungsüberschläge allerdings gar nicht und können leicht dadurch zerstört werden. Vor allem beim Anschließen von Kabeln an Geräte sollte man sehr vorsichtig sein, damit keine Funken die offenen elektrischen Kontakte treffen. Um bei der Verkabelung der Elektronik eine wesentliche Ladungsquelle – der eigene Körper – auszuschalten, trage ich ein Erdungsarmband am Handgelenkt. Das Armband ist elektrisch leitfähig und über ein Kabel mit einem Erdungspunkt im Labor verbunden. Ladungen auf meinem Körper und von Gegenständen, die ich anfasse, können damit über das Kabel zur Erdung abfließen. Dazu stelle ich sicher, dass ich vor der elektrischen Verbindung zweier Geräte, beispielsweise beim Einstecken einer externen USB-Festplatte am Rechner, die Metallteile oder Erdungspunkte beider Geräte berühre und damit einen Ladungsausgleich herbeiführe. Das kann zum Beispiel auf der einen Seite das Metallgehäuse des Rechners und auf der anderen Seite der Massekontakt des USB-Kabels der Festplatte sein. Wenn man diese beiden Regeln beherzigt, sollte nichts schiefgehen. Man muss sich nur immer dazu zwingen, sich vorher genau zu überlegen, was man tut. Auch bei solch einfachen Dingen wie dem Einstecken einer USB-Festplatte. Über den ganzen Tag hinweg kann das ziemlich anstrengend sein. Apropos Festplatten: der geringe Luftdruck bekommt den sich drehenden Festplatten (keine SSDs) nicht gut und die Statistik zeigt, dass ca. 10% aller Festplatten hier auf der Station bereits nach einem Jahr defekt sind. Zur Sicherheit werden wir unsere Messdaten parallel auf zwei Festplatten und zusätzlich noch auf einer SSD speichern.

Wegen der oben erwähnten Sicherheitsmaßnahmen dauert es heute den ganzen Tag bis ich alle Elektronikeinschübe in das Rack montiert und verkabelt habe. Christopher justiert währenddessen das Gestell des Empfangsteleskops ein und bereitet die Aufnahme für den Laser vor. Wir montieren den Laser probeweise um die Position des späteren Laserstrahls auf der Wand der Teleskop-Box zu markieren. An der Position wird später das Vakuumfenster, durch das der Laserstrahl in den Teleskopraum gelangt, montiert. Doch zuerst muss ein Loch in die Wand gesägt werden.

Elektronik-Rack
Das nahezu fertig aufgebaut und verkabelte Elektronik-Rack unseres Lidars

Laser Christopher markiert auf der Wand der Teleskop-Box die spätere Position des Laserstrahls

Nach mit Mittagessen findet ein einstündiges Sicherheitstraining statt und dann geht es weiter mit der Arbeit im Labor. Eine Stunde vor dem Abendessen stellen sich bei mir und auch bei Christopher starke Kopfschmerzen ein und wir müssen die Arbeit unterbrechen. Obwohl wir keinen Durst verspüren, haben wir offensichtlich zu wenig getrunken. Es überrascht mich immer wieder, wieviel Wasser der Körper innerhalb eines Tages schon bei moderater körperlicher Arbeit verliert. Zwei Liter Wasser und ein Ibuprofen helfen. Nach dem Abendessen teste ich die Netzwerkverbindung zum Lidar-Computer. Einzelne Datenpakete kommen bei unserem Gateway beim DLR in Deutschland an, aber die Bandbreite des Skynet-Satelliten ist zu gering als dass ich eine VPN-Verbindung aufbauen könnte; es gehen zu viele Datenpakete verloren. Das Zeitfenster des SPTR-Satelliten beginnt morgen früh um kurz vor zwei Uhr. Ich werde meinen Wecker auf drei Uhr stellen, dann bleiben mir etwa 2 Stunden um die VPN-Verbindung zu testen und das git-Repository mit dem Quellcode des Lidar-Betriebssystems auf den Lidar-Rechner zu laden.

Da ich heute beim Thema Tücken bin: die extrem geringe Luftfeuchtigkeit macht auch unseren Nasen sehr zu schaffen. Die Schleimhäute trocknen mehr und mehr aus und reißen schließlich, was zu Nasenbluten führt. Bei mir ging es gestern damit los. Wirklich Abhilfe gibt es nicht und man muss sich schlichtweg daran gewöhnen.

Und noch eine Meldung zum Schluss: Heute kamen gleich drei Flugzeuge mit Touristen an, zwei Basler und eine Twin Otter. Für 60000 US Dollar kann man bei einem privaten Anbieter ein Ticket buchen und wird für zwei Tage zum Pol gebracht. Das ist teilweise schon recht skurril. Die Touristen kommen aus dem Camp, schnallen sich Skier unter und hängen sich einen Schlitten an, um dann die 500 Meter bis zur Polmarkierung zu laufen und Fotos von sich machen zu lassen. Und wir sitzen beim Mittagessen und sehen ihnen aus dem Fenster zu!

Die Flugzeuge der Touristen Die Flugzeuge der Touristen. Im Vordergrund befindet der zeremonielle Marker für den Südpol mit den Fahnen und zwei Touristen, die dort Fotos von sich machen