Ein Besucherzentrum am Pol
Heute ist der vierte Tag der Quarantäne. Am Freitag können wir hoffentlich mit der Installation unseres Lidars beginnen, sofern unsere COVID-Tests morgen negativ sind. Die Quarantäne wird hier sehr ernst genommen, seit es vor ein paar Wochen auf der Station einen COVID-Ausbruch gab. Mittlerweile ist die Station wieder frei von COVID, aber die Sorge der Stammbesatzung für den Winter bleibt natürlich. Mitte Februar finden die letzten regulären Flüge nach Süden statt, danach ist die Station über den Winter nicht mehr erreichbar und eine Evakuierung einer erkrankten Person sehr risikoreich und schwierig.
McMurdo hatte es Anfang November schlimmer getroffen. Zwischenzeitlich waren fast 10% der Bewohner dort mit COVID infiziert, was die National Science Foundatation – der Betreiber der Stationen – schließlich dazu veranlasste, die ganze Station unter Quarantäne zu stellen und alle Flüge nach McMurdo für einen Zeitraum von zwei Wochen auszusetzen. Das war am Tag vor unserer ursprünglich geplanten Abreise aus Deutschland und führte zu einer Verschiebung unserer Reise und Chaos in der Logistik.
Unser mittäglicher Spaziergang führt uns heute nach Nordwesten, wobei am Pol technisch gesehen alle Richtungen nach Norden zeigen. Um in der Umgebung des Pols eine eindeutige und verlässliche Richtungsangabe zu ermöglichen, hat man ein Gittersystem eingeführt. Dazu betrachtet man die Antarktis auf einer Karte aus der Vogelperspektive und dreht die Karte so, dass der Nullmeridian oben ist. Der Nullmeridian vom Pol aus gesehen definiert die Richtung „Norden“ auf dem Gitter. Alle weiteren Richtungen werden vom Pol aus, dem Gitterpunkt (0,0), entgegen dem Uhrzeigersinn in Grad angegeben. Der Längengrad 90° West ist demnach 90° und 90° Ost entspricht 270°.
Wir laufen heute also ungefähr in Richtung 40° nach Nordwesten. Unsere erste Station ist das Besucherzentrum. Ja, am Pol gibt es wirklich ein Besucherzeitrum für Reisende, die nicht im Auftrag der US Regierung unterwegs sind. Diese Saison sind mehr als 15 Expeditionen mit einem Stopp am Pol geplant beziehungsweise haben schon stattgefunden. Die Expeditionsteilnehmer und Touristen dürfen jedoch die Amundsen-Scott-Station nicht betreten, weswegen sie in einem Camp etwa einen Kilometer von der Station entfernt ihr Lager aufschlagen. Im Besucherzentrum vor der Station, einer Hütte auf Skiern, können sich die Besucher über die Station und die wissenschaftlichen Experimente anhand von ein paar Schautafeln informieren. Dazu gibt es auf einem Tisch ein Gästebuch; die neuesten Einträge sind von gestern.
In diesem Container ist das Besucherzentrum untergebracht. Am Horizont sieht man das Camp.
Das Camp der Privatreisenden. Besucher dürfen die Amundsen-Scott-Station ohne ausdrückliche Genehmigung der US Regierung nicht betreten.
Ich habe auch schon in der Antarktis auf Eis gezeltet, und bei gutem Wetter wie heute ist das auch ok. Bei schlechtem Wetter bin ich aber doch sehr froh über mein kleines warmes Zimmer in der Station.
Wir laufen weiter und kommen am Neutrinoobservatorium „Ice Cube“ vorbei. Von außen ist das Observatorium ein eher unspektakuläres Gebäude, die eigentlichen wissenschaftlichen Instrumente befinden sich nämlich weit unten im Eis. Das sind eine Vielzahl an mit Lichtempfängern ausgestattete Kugeln, welche in Form von Ketten mehrere Hundert Meter tief im Eis liegen. Hierzu wurden vor ca. 10 Jahren mit heißem Wasser Löcher ins Eis „gebohrt“ und die Kugeln darin versenkt. Eine Vielzahl dieser Ketten bilden die Form eines Kubus mit fast einem Kilometer Durchmesser. Warum lichtempfindliche Detektoren? Nun, mit Ice Cube werden sogenannte Neutrinos aufgespürt. Das sind winzig kleine Elementarteilchen, die z.B. von der Sonne oder von anderen Galaktischen Quellen stammen, und die extrem selten mit normaler Materie wechselwirken. Nahezu alle Neutrinos durchdringen einfach die Erde ohne dass etwas passiert. Findet doch eine Wechselwirkung mit dem Eis statt, so entsteht ein extrem kurzer Lichtblitz, welcher von den Kugeln registriert wird. „Sehen“ mehrere dieser Kugeln diesen Lichtblitz, so kann anhand der Zeitverzögerung, mit der der Blitz von den Kugeln registriert wird, die Richtung rekonstruiert werden, aus der das Neutrino gekommen sein muss. Ice Cube ist damit sozusagen ein gigantisches astronomisches Teleskop.
Das Gebäude des Ice Cube Observatoriums sieht eher unspektakulär aus.
Auf dem Rückweg zur Station kommen wir am South Pole Telescope und dem Martin A. Pomerantz Observatorium vorbei. Ersteres ist ein Radioteleskop für den Millimeter und Submillimeter-Wellenlängenbereich des Spektrums. Das Besondere an diesem Standort ist, dass ein Teil der Sterne und kosmische Quellen am Pol niemals untergeht und damit über viele Tage kontinuierlich beobachtet werden können. Zudem hilft die trockene Luft, denn Wasserdampf stört die Radiobeobachtungen.
Das South Pole Telescope (links) ähnelt einem normalen Radioteleskop mit Parabolantenne. Das Gebäude rechts ist das Martin A. Pomerantz Observatorium.
Wieder zurück an der Station ist der Schneeberg schon fast verschwunden. Mit Radlader wird der Schnee auf spezielle antarktistaugliche Muldenkipper verladen und nach Osten an den Rand des Operationsgebietes der Station verbracht. So sieht die Umgebung der Station jeden Tag anders aus.
Der Schneeberg vor unserem Wohnblock ist schon fast vollständig aufgeladen und weggebracht